LAG Berlin-Brandenburg – 15 Sa 2454/10

Kündigung in der Elternzeit – Zustimmung – Schwangerschaft

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.04.2011, 15 Sa 2454/10

Leitsatz

  1. Die Zustimmung zur Kündigung nach § 18 BEEG ersetzt nicht gleichzeitig diejenige nach § 9 MuSchG.
  2. Dies gilt auch im Insolvenzverfahren.

Tenor

  1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 6. September 2010 – 19 Ca 9025/10 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

2

Die Klägerin war seit dem 15. Mai 2003 als Kundenberaterin bei einem Unternehmen beschäftigt, über dessen Vermögen durch Beschluss vom 1. Oktober 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Beklagte wurde als Insolvenzverwalter eingesetzt. Die Klägerin war zuletzt während der Elternzeit als Teilzeitkraft mit 30 Wochenstunden und einem Bruttomonatsentgelt von 1.425,00 EUR beschäftigt.

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Mit Bescheid vom 11. Mai 2010 stimmte das Integrationsamt der beabsichtigten Kündigung der Klägerin gemäß § 18 Abs. 1 BEEG. Danach kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 20. Mai 2010, das die Klägerin am 22. Mai 2010 erhielt. Mit Schreiben vom 26. Mai 2010, das dem Beklagten einen Tag später zuging, teilte die Klägerin mit, dass sie erneut schwanger sei. Unstreitig war die Klägerin zu diesem Zeitpunkt in der 6. Woche schwanger, was durch Attest vom 26. Mai 2010 (Bl. 61 d. A.) festgestellt wurde.

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Mit der am 10. Juni 2010 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Klage, die dem Beklagten am 16. Juni 2010 zuging, setzt die Klägerin sich gegen die ausgesprochene Kündigung zur Wehr.

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Die Klägerin hat beantragt,

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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung vom 20. Mai 2010 beendet worden ist.

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Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte hat u. a. die Rechtsansicht vertreten, dass ein weiterer Bescheid nach dem Mutterschutzgesetz nicht notwendig gewesen sei.

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Mit Urteil vom 6. September 2010 hat das Arbeitsgericht Berlin der Klage stattgegeben. Es fehle an der erforderlichen Zustimmung nach § 9 MuSchG.

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Dieses Urteil ist dem Beklagten am 28. Oktober 2010 zugestellt werden. Die Berufung ging am 25. November 2010 beim Landesarbeitsgericht ein. Nach Verlängerung bis zum 28. Januar 2011 erfolgte die Berufungsbegründung am 26. Januar 2011.

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Der Beklagte ist der Ansicht, dass wegen der beschleunigten Abwicklung im Insolvenzverfahren eine zusätzlich Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 9 MuSchG nicht erforderlich sei. Dies führe nur zu einer künstlichen Verzögerung. Eine andere Entscheidung hätte im Einzelfall auch nicht ergehen können, da der Central Support, in dem die Klägerin beschäftigt gewesen war, komplett eingestellt worden sei.

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Der Beklagte beantragt,

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unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 06.09.2010 – 19 Ca 9025/10 – die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 6. September 2010 – 19 Ca 9025/10 – zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist zulässig. Sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin entschieden, dass die Kündigung vom 20. Mai 2010 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hat. Diese Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an der erforderlichen Zustimmung des Integrationsamtes nach § 9 MuSchG.

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Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG ist die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft bekannt war oder innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Diese Voraussetzungen waren vorliegend erfüllt. Unstreitig lag vor Ausspruch der Kündigung auch nicht eine Zustimmung der obersten Landesbehörde gemäß § 9 Abs. 3 MuSchG vor.

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Soweit der Beklagte meint, diese Zustimmung sei deswegen nicht erforderlich, weil die oberste Landesbehörde schon die Zustimmung nach § 18 BEEG erteilt hätte, kann dem nicht gefolgt werden. Das Bundesarbeitsgericht (31.03.1993, 2 AZR 595/92, NZA 1993, 664, 649) hat ausdrücklich festgestellt, dass eine erteilte Zustimmung während des Erziehungsurlaubs (heute: Elternzeit) nicht die Zustimmung nach § 9 MuSchG ersetzt. In der juristischen Literatur wird diese Rechtsansicht geteilt (KDZ-Söhngen/Zwanziger, 11. Auflage, § 9 MuSchG, Rdnr. 65; KZ-Bader § 9 MuSchG Rdnr. 73). Dem schießt sich die erkennende Kammer an.

20

Im Gegensatz zur Rechtsauffassung des Beklagten gilt dies auch im Insolvenzverfahren. Auch wenn das Insolvenzverfahren eine beschleunigte Abwicklung erreichen will, so hat der Gesetzgeber jedoch nirgendwo zu erkennen gegeben, dass der hier in Rede stehende besondere Kündigungsschutz nur eingeschränkt gelten soll.

21

Soweit der Beklagte meint, es käme zu einer künstlichen Verzögerung, da die oberste Landesbehörde angesichts des vorliegenden Einzelfalles auch unter dem Aspekt des § 9 MuSchG nicht anders entscheiden könne, kann offen bleiben, ob dies zutrifft. Auch dies rechtfertigt keine andere rechtliche Beurteilung. Würden die Gerichte für Arbeitssachen die in § 9 MuSchG geregelte Zustimmung für unbeachtlich halten, liefe das im Ergebnis darauf hinaus, dass sie selbst die erforderliche Zustimmung der Verwaltung ersetzten. Eine derartige Kompetenz steht ihnen nicht zu.

22

Der Beklagte hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

23

Die Voraussetzung für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Auch die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72a ArbGG) wird hingewiesen.

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