Fristlose Kündigung – Rauchverbot – Ersatzmitglied für den Betriebsrat
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 09.11.2011, 12 Sa 956/11
Leitsätze:
- Der nachhaltige Verstoß gegen ein wirksames Rauchverbot in einem feuergefährdeten Betrieb kann für sich genommen eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
- Ob ein Ersatzmitglied des Betriebsrats gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG gegen eine ordentliche Kündigung geschützt ist, oder aber ob zu seiner außerordentlichen Kündigung die Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG i.V.m. § 103 Abs. 1 BetrVG erforderlich ist, richtet sich nach dem Zeitpunkt der Abgabe der Kündigungserklärung.
Tenor:
- Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 29.06.2011 – 2 Ca 1188/11 – abgeändert und die Klage abgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
- Die Revision wird zugelassen.
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T A T B E S T A N D :
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
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Der 53 Jahre alte und verheiratete Kläger, der vier Kindern zum Unterhalt verpflichtet ist, war seit dem 01.04.1987 bei der Beklagten als Hilfskraft im Tiefdruck beschäftigt. Sein monatliches Bruttoeinkommen betrug 3.200,00 Euro. Er war das erste Ersatzmitglied der "Alternativen Liste K. I." des bei der Beklagten gebildeten Betriebsrats. Ordentliches Betriebsratsmitglied der Liste des Klägers war Herr I..
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Bei der Beklagten handelte es sich um einen Druckereibetrieb auf einem ca. 500 m x 800 m großen Betriebsgelände mit mehreren ineinander verbundenen Industriehallen. Die bei dem Druckvorgang verwendeten Lösungsmittel waren leicht entzündbar. Bei dem Trocknungsprozess mischten sie sich mit Luft. Dieses Gemisch konnte durch einen Funken in Brand gesetzt werden, wobei die Druckmaschinen allerdings mit modernen Absaugeinrichtungen ausgerüstet waren. Zudem stellten in den nicht explosionsgefährdeten Bereichen des Betriebs u.a. der Papierstaub sowie die Papierprodukte Brandlasten dar. Im Betrieb der Beklagten waren in der Vergangenheit mehrfach Brände aufgetreten. Zweimal brannte ein Druckwerk einer Maschine und am 01.03.2010 brannte es im Papierkeller. Die Ursache der Brände konnte nicht geklärt werden. Es bestand im Betrieb ein Rauchverbot, auf das durch entsprechend Aushänge hingewiesen wurde. Zuletzt wurde dieses Rauchverbot in der "Betriebsvereinbarung 1/2009 Rauchverbot und Raucherzonen" (BV 1/2009) geregelt. In der BV 1/2009 hieß es u.a.:
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"Rauchverbot
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Das Rauchen ist im gesamten Bereich der TSB und auf dem o.g. Betriebsgelände untersagt, wenn es nicht im Rahmen dieser Vereinbarung in bestimmten Bereichen ausdrücklich erlaubt ist.
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Bereiche mit Raucherlaubnis
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1.In allen Zonen entsprechend der Anlage 1 (Liste) und der Anlage 2 (Hallen und Betriebsgeländeplan). Hierbei handelt es sich um Rauchplätze innerhalb der Produktionshallen sowie ein Raucherraum an der Kantine, die durch die Bodenmarkierung sowie ein Schild "Rauchen erlaubt" gekennzeichnet sind. …."
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichten BV 1/2009 nebst den Anlagen 1 und 2 Bezug genommen. Mit Schreiben vom 11.04.2011 erläuterte Herr C., Beauftragter für die Arbeitssicherheit, der Geschäftsleitung die Gründe für das Rauchverbot. Er wies dabei u.a. darauf hin, dass bei der Beklagten mit einer großen Menge leicht entzündlicher Stoffe gearbeitet werde. Das Rauchen könne deshalb im unmittelbaren Umfeld von Produktionsmaschinen nicht geduldet werden, denn es stelle dort eine unmittelbare Gefahr dar. Die Glut einer Zigarette könne zudem nachbrennen und Brände verursachen, die erst nach einiger Zeit entdeckt werden. Nur im Raucherbereich gebe es Aschenbecher. Dort könne der Mitarbeiter seine Zigarette in Stresssituationen richtig entsorgen. Außerhalb des Raucherbereichs sei dies nicht gewährleistet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 11.04.2011 Bezug genommen.
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Die Arbeitszeit war bei der Beklagten durch die "Betriebsvereinbarung 7/2009: Ergänzung der "vorläufigen Betriebsvereinbarung 3/2008 MG: "Arbeitszeit Tiefdruck" und 2/2009 MG: "Änderung und Laufzeitverlängerung" (BV 7/2009) geregelt. In dieser hieß es u.a.:
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"Gegenstand der Vereinbarung
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Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt 35 Stunden und ist für den einzelnen Arbeitnehmer auf 5 Tage in der Regel von Montag bis Freitag zu verteilen. …
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Grundsätze der Flexibilisierung
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Die Geschäftsleitung kann pro AZV-Jahr im Bereich Tiefdruck sowie in allen Unterabteilungen der Betriebstechnik je Mitarbeiter/in 9 zusätzliche Samstagsschichten einplanen. Der Arbeitnehmer/Die Arbeitnehmerin ist verpflichtet, davon 5 in der Frühschicht und 4 in der Spätschicht zu leisten. …"
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zu den Akten gereichte BV 7/2009 Bezug genommen. Die Beklagte erteilte dem Kläger mehrere Abmahnungen wegen unerlaubten Rauchens. Die erste Abmahnung datiert vom 11.09.1996. In dieser hieß es u.a.:
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"Am 10.09.1996 wurden Sie von unserem Personalleiter, Herr F., rauchend auf Ihrem innerbetrieblichen Transportfahrzeug in unmittelbarer Nähe des Schrumpfofens in Halle 5 angetroffen.
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Dieses Verhalten stellt eine Verletzung Ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten dar, die wir nicht akzeptieren können. Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass Sie im Wiederholungsfalle bei einem gleichgelagerten oder einem ähnlichen Verhalten mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen müssen."
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Am 07.01.2003 erteilte die Beklagte dem Kläger eine weitere Abmahnung. In dieser hieß es u.a.:
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"Am 30.12.2002 gegen 08.00 Uhr wurden Sie durch den Leiter der Weiterverarbeitung/Logistik, Herr O., rauchend in Halle 8 auf einem Stapler angetroffen. Herr O. stellte Sie zur Rede und machte Sie auf den Aushang "Rauchverbot" vom 03.06.1996 aufmerksam, der Ihnen bekannt ist.
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Dieses Verhalten stellt eine Verletzung ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten dar, die wir nicht akzeptieren können. Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass Sie im Wiederholungsfalle bei einem gleichgelagerten oder einem ähnlichen Verhalten mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen müssen."
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In der Abmahnung vom 17.08.2007 hieß es u.a.:
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"Am 14.08.2007 in der Nachtschicht wurden Sie durch Ihren Vorgesetzten, Herrn S. Q., rauchend auf dem Stapler während des Fahrens in Halle 4 angetroffen.
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Herr Q. stellte Sie zur Rede und machte Sie darauf aufmerksam, dass das Rauchen außerhalb der gekennzeichneten Raucherecken strengstens verboten ist, wie auch dem Aushang "Rauchverbot" vom 03.06.1998 zu lesen ist, der Ihnen bekannt ist. ….
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Dieses Verhalten stellt eine Verletzung ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten dar, die wir nicht akzeptieren können. Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass Sie im Wiederholungsfalle bei einem gleichgelagerten oder einem ähnlichen Verhalten mit weiteren arbeitsrechtlichen Schritten bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen müssen."
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In der Abmahnung vom 22.09.2009 hieß es u.a.:
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"Am 22.09.2009 wurden Sie durch den Produktionsleiter, Herrn G. Q., rauchend an der Auslage – Roboter der Rotation 6 angetroffen. ….
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Dieses Verhalten stellt eine Verletzung ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten dar, die wir nicht akzeptieren können. Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass Sie im Wiederholungsfalle bei einem gleichgelagerten oder einem ähnlichen Verhalten mit weiteren arbeitsrechtlichen Schritten bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen müssen."
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichten Abmahnungen vom 11.09.1996, 07.01.2003, 17.08.2007 und 22.09.2009 Bezug genommen. Die Beklagte hatte dem Kläger am 27.01.1998 zwei, sowie am 03.09.1998 und 10.05.2005 je eine weitere Abmahnungen erteilt. Diese betrafen ausweislich ihres Inhalts einen Gaststättenbesuch trotz angeblicher Arbeitsunfähigkeit, die Verletzung von Mitteilungspflichten betreffend die Arbeitsunfähigkeit, verspäteten Arbeitsantritt und das Ausfüllen eines Lieferscheins. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichten Abmahnungen Bezug genommen.
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Am 05.04.2011 gegen 17.30 Uhr traf die Beklagte den Kläger rauchend in der Halle mit der Rotationsmaschine 9 an. Am Dienstag, den 12.04.2011 wurde der Kläger zur Betriebsratssitzung am Donnerstag, den 14.04.2011 eingeladen, weil Herr I. am 14.04.2011 abwesend war. Mit Schreiben vom 12.04.2011 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers an. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Anhörungsschreiben Bezug genommen. Der Betriebsrat behandelte die Angelegenheit im Rahmen der wöchentlichen Betriebsratssitzung am 14.04.2011 – zu diesem Tagesordnungspunkt ohne den Kläger. Nach der Betriebsratssitzung suchte der Kläger die Geschäftsführung auf und bat, sich die Sache noch einmal zu überlegen. Geschäftsführer Dr. C. teilte mit, er werde die Sache gemeinsam mit dem Geschäftsführer T. entscheiden. Am Vormittag des 15.04.2011 (Freitag) teilte die Betriebsratsvorsitzende Frau I. der Geschäftsführung mit, dass der Betriebsrat den Beschluss gefasst habe, zur Angelegenheit keine Stellungnahme abzugeben. Auf eine weitere Stellungnahme brauche die Beklagte nicht zu warten. Die Beklagte bereitete daraufhin die Kündigungserklärung vor. Mit Schreiben vom 15.04.2011 kündigte sie das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos. Das Schreiben wurde durch einen Boten des Arbeitgebers am 15.04.2011 um 15.10 Uhr in den Briefkasten des Klägers eingelegt. Am 15.04.2011 war Herr I. im Betrieb anwesend. Er arbeitete an diesem Tag in Spätschicht, d.h. ausweislich des Schichtzettels von 14.00 Uhr bis 22.00 Uhr. Der Kläger selbst arbeitete an diesem Tag in der Frühschicht und hatte um 14.00 Uhr Schichtende. Am Samstag, den 16.04.2011 fuhr der Kläger mit seiner Fahrgemeinschaft zur Frühschicht. Der Schichtleiter unterrichtete den Kläger, dass er die Arbeit nicht aufnehmen dürfe. Am 16.04.2011 war Herr I. im Betrieb nicht anwesend. Ab Montag, den 18.04.2011 hatte Herr I. für drei Wochen Urlaub. An der nächsten regulären Betriebsratssitzung am 21.04.2011 nahm Herr U. für die Liste des Klägers teil.
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Der Kläger ist der Ansicht gewesen, es habe für die Kündigung der Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 103 BetrVG bedurft. Wegen des Urlaubs von Herrn I. sei er fortlaufend dafür vorgesehen gewesen, auch an weiteren Betriebsratssitzungen teilzunehmen und das Amt aktiv wahrzunehmen. Maßgeblich sei, dass ihm zu dem Zeitpunkt, in dem der Betriebsrat angehört wurde, der Schutz nach § 103 BetrVG zustand. Aber selbst wenn es auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ankomme, ändere sich nichts. Hierzu hat der Kläger behauptet, dass er seinen Briefkasten bei Frühschicht regelmäßig leere, wenn er von dieser Schicht komme. Bei Spätschicht leere er den Briefkasten vor Schichtbeginn. Zu dieser Zeit sei die Tagespost und auch die Post der privaten Zusteller regelmäßig eingegangen. Insoweit hat er die Ansicht vertreten, bei einem Einwurf in den Briefkasten am Nachmittag, d.h. an einem Freitag um 15.10 Uhr erfolge der Zugang erst am nächsten Tag. Es sei allein dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzurechnen, dass sie ihm den Brief am Freitag nicht persönlich durch ihren Boten aushändigte. Der Kläger hat weiter behauptet, er habe erstmalig am Samstagmorgen im Betrieb von der Kündigung erfahren. Mit dem Erhalt der Kündigung bereits am Freitag, den 15.04.2011 habe er nicht rechnen müssen. Am Samstag, den 16.04.2011 habe ihm der Schutz des § 103 BetrVG zugestanden, denn es handele sich auch an diesem Tag bei der Beklagten um einen mit regelmäßiger Arbeitszeit belegten Tag. Herr I., der sonst regelmäßig samstags arbeite, habe seinen Urlaub tatsächlich bereits am 16.04.2011 angetreten, auch wenn er offiziell erst ab dem 18.04.2011 Urlaub gehabt habe. Jedenfalls habe er am 16.04.2011 nicht mehr zur Verfügung gestanden. Er selbst hätte am 16.04.2011 durchaus in seiner Eigenschaft als Funktionsträger angesprochen werden können. Zudem müsse der Betriebsrat auch am Wochenende funktionsfähig sein. Der Kläger hat im Übrigen die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats gerügt.
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Er hat eingeräumt, dass er rauchend angetroffen worden sei. Er wisse, dass er sein Verhalten ändern müsse und hat behauptet, er habe jetzt mit dem Rauchen aufgehört. Allerdings sei die Stelle, an der er am 05.04.2011 rauchend angetroffen wurde, keine Gefahrenstelle. Er sei nur vier bis fünf Meter von dem betrieblichen Raucherplatz in der Halle mit der Rotationsmaschine 9 angetroffen worden. Wenn in der Halle geraucht werden dürfe, dann sei nicht von einer Explosionsgefahr auszugehen, wenn man sich von dem Raucherplatz nur einige Meter entferne. Es sei auszuschließen, dass dort leicht entzündlicher Papierstaub vorherrschte oder eine Zigarettenglut ein Großfeuer auslöse. Ob andere Mitarbeiter ihre Zigarettenkippe in eine Abfalltonne werfen oder in anderer Weise entsorgen, sei unerheblich. Er habe sich so nicht verhalten.
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Am 22.09.2009 habe er sich noch vor seiner Schicht in der Raucherecke in Halle 7 befunden. Er sei dort von dem Maschinenführer angesprochen worden, mit der Bitte sich mal eben den Arbeitsablauf anzusehen. Er habe sich dazu maximal zwei Meter aus der Raucherecke zur Maschine hin bewegt. Dazu habe er die Zigarette nicht aus der Hand gelegt, sondern zur Seite gehalten. In diesem Moment sei der damalige Produktionsleiter gekommen und habe ihm sofort vorgehalten, er verstoße gegen das Rauchverbot. Herr L. habe diese Umstände eingesehen, Herr Q. jedoch auf einer Abmahnung bestanden.
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Der Kläger hat weiter die Ansicht vertreten, dass sich aus der letzten Abmahnung ebenso wie aus derjenigen vom 17.08.2007 ergebe, dass auch weitere arbeitsrechtliche Maßnahmen in Betracht kämen. Die Beklagte hätte ihm eine Kündigung ausdrücklich ankündigen müssen. Außerdem sei die Androhung von arbeitsrechtlichen Folgen gegenüber den Abmahnungen vom 07.01.2003 und vom 11.09.1996 abgeschwächt. Es hätte ihm mit der letzten Abmahnung verdeutlicht werden müssen, dass es sich um die letzte Warnung handelt.
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Der Kläger hat beantragt,
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festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 15.04.2011 beendet wurde.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Ansicht gewesen, es habe keiner Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 103 BetrVG zur Kündigung des Klägers bedurft. Maßgeblich für die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit sei der Zugang der Kündigung. Sie hat die Auffassung vertreten, der Zugang sei am 15.04.2011 erfolgt. Aufgrund gewandelter Verkehrsüblichkeit werde der Zugang noch am gleichen Tag bewirkt, wenn der Brief bis 18.00 Uhr eingeworfen werde. Sie hat weiter die Ansicht vertreten, jedenfalls habe der Kläger aufgrund der Unterredung mit dem Geschäftsführer am Donnerstag, den 14.04.2011 mit der Kündigung am Freitag rechnen müssen. Aber selbst wenn die Kündigung am Samstag, den 16.04.2011 zugegangen sei, ändere dies nichts, weil Herr I. – unstreitig – am 16.04.2011 keinen Erholungsurlaub hatte. Unabhängig davon sei Betriebsratstätigkeit grundsätzlich nur während der regelmäßigen Arbeitszeit durchzuführen. Am Wochenende werde keine Betriebsratstätigkeit geschuldet, weshalb am Samstag kein Ersatzmitglied nachrücken könne. Der Samstag gehöre bei ihr nicht zur regelmäßigen Arbeitszeit. Aus der BV 7/2009 folge nichts anderes.
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Die Beklagte hat insbesondere auf die Gefährdung verwiesen, die dadurch entsteht, dass außerhalb der Raucherbereiche eine ordnungsgemäße Entsorgung der Zigaretten nicht gewährleistet sei. Zudem rauche der Kläger offenbar bewusst zu Zeiten, an denen die Geschäftsführung oder andere leitende Mitarbeiter nicht mehr da sind, außerhalb der Raucherzonen. Sie hat behauptet, am 05.04.2011 sei der Kläger ca. 15 – 20 Meter von der Raucherecke rauchend angetroffen worden. Er habe dabei das bedruckte Papier gestapelt. Seit Verabschiedung der BV 1/2009 sei die Maschine in diesem Bereich näher an die Raucherecke herangekommen. Der Sicherheitsbeauftragte habe Bedenken gegen die Lage der Raucherzone vorgebracht. Die Geschäftsleitung wolle die Raucherecke verlegen. Eine Änderung werde im Konsens mit dem Betriebsrat angestrebt. Am 22.09.2009 habe der Kläger bereits mit der Arbeit begonnen, ohne die Zigarette zu löschen. Er habe sich auch nicht nur zwei Meter aus der Raucherecke herausbewegt, sondern die Maschine erreicht.
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Sie hat die Ansicht vertreten, die Kündigungsandrohung sei nicht wegen zu vieler Abmahnungen entwertet gewesen. Die außerordentliche Kündigung habe nicht konkret angekündigt werden müssen. Die Formulierungen betreffend die Ankündigung arbeitsrechtlicher Folgen in den Abmahnungen seien inhaltlich gleich zu verstehen gewesen.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 29.06.2011 stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Warnfunktion der Abmahnungen sei aufgrund ihrer Vielzahl und ihrer Formulierung abgeschwächt gewesen. Die Beklagte hätte die letzte Abmahnung besonders eindringlich gestalten müssen. Gegen das ihr am 18.07.2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 01.08.2011 Berufung eingelegt und diese am 16.09.2011 begründet.
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Die Beklagte vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Die von ihr ausgesprochenen Abmahnungen seien dem Kläger eine hinreichende Warnung gewesen.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 29.06.2011 – 2 Ca 1188/11 zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er vertieft seine Ansicht, dass die letzten Abmahnungen eine Abschwächung der Warnfunktion enthielten. Für die Unterschiede in der Formulierung der einzelnen Abmahnungen sei auf das Verständnis eines durchschnittlichen Arbeitnehmers abzustellen. Dem Kläger seien die Unterschiede zudem aufgrund seiner langjährigen Betriebsratstätigkeit bewusst gewesen. Er habe sich keine Gedanken gemacht, ob er zu Zeiten rauche, zu denen er nicht von der Geschäftsleitung oder sonstigen leitenden Mitarbeitern gesehen werden könne. Er behauptet weiter, an der konkreten Stelle im Betrieb bestehe keine absolute Explosions- und Feuergefahr. Jedenfalls die Interessenabwägung müsse zu seinen Gunsten ausfallen. Schließlich habe er in noch keinem Fall eine Zigarette weggeworfen und so eine Gefahr verursacht. Er vertieft weiter seine Ansicht, dass ihm der Kündigungsschutz gemäß § 103 BetrVG zustehe. Herr I. habe sich am Samstag, den 16.04.2011 bereits im Urlaub befunden. Er selbst sei erkennbar aufgrund seiner Position im Betrieb nicht mehr erwünscht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
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Die zulässige Berufung ist begründet.
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A.Die Berufung ist begründet. Die außerordentliche und fristlose Kündigung vom 15.04.2011 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis aufgelöst. Es liegt ein wichtiger Grund (§ 626 Abs. 1 BGB) für die außerordentliche Kündigung vor, welche die Beklagte innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB erklärt hat. Einer Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG bedurfte es nicht. Die Anhörung gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG ist ordnungsgemäß erfolgt.
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I.Für die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger liegt ein wichtiger Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB vor. Die Beklagte hat die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB eingehalten.
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1.Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG 26.03.2009 – 2 AZR 953/07, AP Nr. 220 zu § 626 Nr. 220 Rn. 21; BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, AP Nr. 229 zu § 626 BGB Rn. 16; BAG 09.06.2011 – 2 AZR 323/10, juris, Rn. 14). Im Hinblick auf den Sonderkündigungsschutz des Klägers als Ersatzmitglied (§ 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG) war hier maßgeblich die Zumutbarkeit zur Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist (BAG 12.05.2010 – 2 AZR 587/08, NZA-RR 2011, 15 Rn. 23).
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a)Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung kann nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten, sondern auch in der schuldhaften Verletzung von Nebenpflichten liegen (BAG 12.05.2010 – 2 AZR 845/08, DB 2010, 2508, Rn. 19; BAG 24.03.2011 – 2 AZR 282/10, DB 2011, 1865, Rn. 12). Da die ordentliche Kündigung die übliche und grundsätzlich ausreichende Reaktion auf die Verletzung einer Nebenpflicht ist, kommt eine außerordentliche Kündigung nur in Betracht, wenn das Gewicht dieser Pflichtverletzung durch erschwerende Umstände verstärkt wird (BAG 12.05.2010 a.a.O. Rn. 19). Als Vertragspflichtverletzung, die grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag, ist dabei ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers anzusehen (BAG 12.05.2010 a.a.O. Rn. 20; BAG 24.03.2011 a.a.O. Rn. 12).
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aa) Die Verletzung eines aus sachlichen Gründen gebotenen, wirksamen Rauchverbots im Betrieb ist an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen (LAG Baden-Württemberg 23.10.1951, DB 1952, 232; LAG Rheinland-Pfalz 27.08.2009 – 11 Sa 207/09, juris Rn. 36; ArbG Krefeld 20.01.2011 – 1 Ca 2401/10, juris Rn. 28; HWK/Sandmann, 4. Aufl. 2010, § 626 BGB Rn. 221; KR/Fischermeier 9. Aufl. 2009, § 626 BGB Rn. 440). Dies gilt zur Überzeugung der Kammer jedenfalls dann, wenn es sich um einen nachhaltigen Verstoß gegen das Rauchverbot in einem feuergefährdeten Betrieb handelt.
56
bb) Unstreitig bestand seit jeher im Betrieb der Beklagten ein wirksames Rauchverbot, auf das zudem in entsprechenden Aushängen hingewiesen worden ist. Es ist zuletzt in der BV 1/2009 geregelt worden. Danach war das Rauchen im Betrieb grundsätzlich untersagt und lediglich in den ausdrücklich als Raucherzonen ausgewiesenen Bereichen erlaubt. Diese waren in der Produktionshalle durch entsprechende Bodenmarkierungen sowie ein Schild "Rauchen erlaubt" gekennzeichnet. Es handelte sich dabei nicht "nur" um ein Rauchverbot aus Gründen des Nichtraucherschutzes. Das Rauchverbot im Betrieb der Beklagten war erlassen worden, um Gefahren für Leib und Leben der anderen Beschäftigten sowie der Sachwerte der Beklagten abzuwenden. Bei dieser handelt es sich um einen Tiefdruckbetrieb, in dem mit leicht entzündlichen Stoffen gearbeitet wird. Dies sind zum einen die Lösungsmittel, die sich bei dem Trocknungsprozess mit Luft mischen. Zum anderen stellen u.a. auch das Papier, die Papierschnipsel und der Papierstaub Brandlasten dar. Dieser als solcher gegebenen Gefahr, welche der Stellungnahme des Sicherheitsbeauftragten der Beklagten entspricht, ist der Kläger nicht entgegengetreten. Er hat lediglich eingewandt, an der konkreten Stelle, an der er am 05.04.2011 geraucht habe, sei die Gefahr nicht so groß gewesen und seine konkrete Handlung hätte das genannte Gefahrpotenzial nicht erreicht.
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Hierauf kommt es zur Überzeugung der Kammer indes nicht entscheidend an. Zunächst ist festzuhalten, dass das Rauchverbot mit Ausnahme der Raucherzonen aus sachlichem Anlass in einem feuergefährdeten Produktionsbetrieb galt. Gegen dieses Rauchverbot hat der Kläger am 05.04.2011 verstoßen, indem er außerhalb der Raucherzone geraucht hat. Für die Kammer war nicht entscheidend, ob der Kläger – so wie er es behauptet – nur vier bis fünf Meter außerhalb der Raucherzone rauchte – oder aber – so wie die Beklagte vorträgt – 15 bis 20 Meter das Papier stapelnd an der Rotationsmaschine angetroffen wurde. Auch in der vom Kläger behaupteten Sachverhaltsvariante lag zur Überzeugung der Kammer an sich ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vor. Sie unterstellt dabei, dass sich vier bis fünf Meter von der Raucherzone entfernt in der Halle mit der Rotationsmaschine 9 keine explosionsgefährdeten Lösemittel in der Luft befanden oder an dieser Stelle eine Zigarettenglut kein Großfeuer auslösen könne. Sie unterstellt auch, dass der Kläger – wie von ihm behauptet – seine Zigarettenkippen bislang immer ordnungsgemäß entsorgt hat. Entscheidend ist für die Kammer die Nachhaltigkeit, mit welcher der Kläger beharrlich gegen das betriebliche Rauchverbot verstößt und außerhalb der markierten Zonen raucht. Trotz mehrerer vorangegangener Abmahnungen setzt er sich über die Grenze hinweg, die im Einvernehmen mit dem Betriebsrat aus Sicherheitsgründen für das Rauchen gefunden worden ist. Es handelt sich bei einem Abstand von vier bis fünf Metern auch nicht nur um ein versehentliches und geringfügiges Übertreten der Markierung der Raucherzone. Zu den Raucherzonen hat der Sicherheitsbeauftragte ausdrücklich aufgeführt, dass nur in den Raucherzonen auch in entsprechenden Stresssituationen, die Zigarettenkippe ohne weiteres entsorgt werden kann. Wenn an anderer Stelle geraucht wird, sei es durchaus denkbar, dass ein Mitarbeiter seine Zigarette vergisst und diese nicht löscht und an einer Maschine eingreift. Die Reglementierung durch die Raucherbereiche solle verhindern, dass ein Mitarbeiter sich – ggf. unbewusst – mit seiner Zigarette an Arbeitsplätze mit höherer Gefährdung begibt. Es mag sein, dass ein solches, auch unbewusstes Verhalten bei dem Kläger noch nicht vorgekommen ist. Aufgrund des in dem Druckereibetrieb grundsätzlich herrschenden Gefahrenpotenzials zeigt dies aber, dass ein Arbeitgeber sich in einem solchen Betrieb darauf verlassen können muss, dass die Mitarbeiter sich an die vorgegebenen Raucherzonen halten, zumal er diese angesichts der Größe des Betriebs nicht ständig und jederzeit kontrollieren kann. Verstößt in dieser Situation in einem konkret brandgefährdeten Betrieb ein Arbeitnehmer wie vorliegend der Kläger nachhaltig bzw. beharrlich gegen das betriebliche Rauchverbot, ist zur Überzeugung der Kammer an sich ein Grund für eine außerordentliche Kündigung gegeben.
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b)Liegt ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung "an sich" vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn mildere Mittel als Reaktion auf die eingetretene Vertragsstörung ausscheiden. Milderes Mittel ist insbesondere die Abmahnung (BAG 12.05.2010 a.a.O. Rn. 27).
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Die Abmahnung als milderes Mittel scheidet aus, weil der Kläger mehrfach einschlägig abgemahnt ist. Entgegen der Ansicht des Klägers bedurfte es im Hinblick auf die Zahl der bereits ausgesprochenen Abmahnungen oder deren Formulierungen vor Ausspruch der Kündigung keiner erneuten besonders eindringlichen Warnung.
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aa)Der Kläger ist mehrfach einschlägig abgemahnt worden. Er wurde am 10.09.1996 rauchend auf einem innerbetrieblichen Fahrzeug in Halle 5 angetroffen und deswegen mit Schreiben vom 11.09.1996 abgemahnt. Am 30.12.2002 wurde der Kläger auf einem Stapler in Halle 8 rauchend angetroffen und deswegen mit Schreiben vom 07.01.2003 abgemahnt. Er wurde bereits mit dieser Abmahnung ausdrücklich auf den Aushang Rauchverbot aufmerksam gemacht. Am 14.08.2007 wurde der Kläger erneut rauchend auf einem Stapler, diesmal in Halle 4 angetroffen. Er wurde erneut auf den Aushang Rauchverbot und außerdem darauf, dass das Rauchen außerhalb der gekennzeichneten Raucherecken strengstens verboten ist, hingewiesen. Der Kläger hat diese Verstöße gegen das Rauchverbot eingeräumt. Er hat hierzu weder zuvor, noch nachdem die Kammer darauf hingewiesen hat, dass sie abweichend von der ersten Instanz einen Kündigungsgrund anzunehmen erwägt, weiter vorgetragen. Mit der Abmahnung vom 22.09.2009 ist dem Kläger vorgeworfen worden, er sei am gleichen Tag rauchend an der Auslage – Roboter der Rotation 9 rauchend angetroffen worden. Er habe durch das Rauchen außerhalb der Raucherzonen sich und seine Mitarbeiter einer Brandgefahr ausgesetzt. Zu diesem Vorfall hat der Kläger behauptet, er habe sich noch vor seiner Schicht in der Raucherecke befunden. Dort sei er von seinem Maschinenführer angesprochen worden, mit der Bitte, sich mal eben den Arbeitsablauf anzusehen. Er habe sich dazu maximal zwei Meter aus der Raucherecke hinaus zur Maschine bewegt und dabei die Zigarette nicht aus der Hand gelegt, sondern zur Seite gehalten. Die Kammer unterstellt zu Gunsten des Klägers, dass der Sachverhalt sich so zugetragen hat. Es bleibt aber auch in der vom Kläger geschilderten Sachverhaltsvariante dabei, dass er außerhalb der Raucherzone geraucht hat. Der Umstand, dass er von seinem Maschinenführer angesprochen wurde, entlastet ihn dabei ebenso wenig wie der Umstand, dass dies vor Schichtbeginn erfolgt sein mag. Es ist zur Überzeugung der Kammer kein Grund ersichtlich, warum der Kläger in dieser Situation die Zigarette nicht hätte zur Seite legen können, um den Raucherbereich ohne diese zu verlassen. Zu Gunsten des Klägers geht die Kammer weiter davon aus, dass im Hinblick auf den von diesem behaupteten Abstand von maximal zwei Metern und die Aufforderung durch den Maschinenführer in diesem Fall von einer schlichten Nachlässigkeit auszugehen sein kann. Dies ändert aber an dem objektiv gerügten Verstoß gegen das Rauchverbot nichts. Es kam zur Überzeugung der Kammer auch nicht darauf an, ob der Kläger die Maschine bereits erreicht oder sich nur zwei Meter zu dieser hin bewegt hatte. Selbst wenn der Vorwurf, ihn "rauchend an der Auslage – Roboter der Rotation 6" örtlich nicht ganz zutreffend gewesen sein sollte, so war dem Kläger bereits durch die Abmahnung vom 17.08.2007 hinreichend verdeutlicht worden, dass er nur innerhalb der Raucherzonen rauchen darf, die Beklagte hierzu keine Abweichungen duldete und er andernfalls sein Arbeitsverhältnis gefährdete. Aber unabhängig davon und unabhängig von der Frage, ob die Örtlichkeit des Verstoßes vom 22.09.2009 ganz präzise beschrieben war, verwies die Beklagte in der Abmahnung von diesem Tag ebenso wie in der Abmahnung vom 17.08.2007 auf den Aushang vom 03.09.1998, der darauf hinwies, dass das Rauchen außerhalb der Raucherbereiche untersagt ist. Weiter wurde mit dem Schreiben vom 22.09.2009 u.a. auf den dem Kläger bekannten, aktuellen Aushang vom 12.06.2009 hingewiesen, sowie konkret aus dem Anlass der Abmahnung darauf hingewiesen, dass das Rauchen außerhalb der Raucherzonen nicht toleriert wird und den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet.
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bb)Im Hinblick auf diese Vorgeschichte war der Kläger zur Überzeugung der Kammer hinreichend gewarnt, dass er bei einem erneuten Verstoß gegen das Rauchverbot sein Arbeitsverhältnis gefährdet. Es bedurfte vor dem erneuten Verstoß am 05.04.2011 keiner eindringlichen Warnung oder eines Gesprächs, um ihm zu verdeutlichen, dass bei einem erneuten Verstoß gegen das Rauchverbot der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet ist.
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(1)Es trifft allerdings zu, dass die Warnfunktion einer Abmahnung erheblich dadurch abgeschwächt werden kann, dass der Arbeitgeber bei ständig neuen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers stets nur mit einer Kündigung droht, ohne jemals arbeitsrechtliche Konsequenzen folgen zu lassen. Eine Abmahnung kann nur dann die Funktion erfüllen, den Arbeitnehmer zu warnen, dass ihm bei der nächsten gleichartigen Pflichtverletzung die Kündigung droht, wenn der Arbeitnehmer diese Drohung ernst nehmen muss. Dies kann je nach den Umständen nicht mehr der Fall sein, wenn jahrelang die Kündigung stets nur angedroht wird (BAG 15.11.2001 – 2 AZR 609/00, NZA 2002, 968 Rn. 40; BAG 16.09.2004 – 2 AZR 406/03, NZA 2005, 459 Rn. 31).
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(2)Dies trifft zur Überzeugung der Kammer vorliegend nicht zu. Soweit die Beklagte den Kläger mit den Abmahnungen vom 27.01.1998, 03.09.1998 und 10.05.2005 wegen andersartiger Pflichtverletzungen abgemahnt hat, können diese die Warnfunktion der Abmahnungen, die Verstöße gegen das Rauchverbot betreffen, nicht entwerten. Vertragsverstöße, die zu bereits abgemahnten Pflichtverletzungen in keinem Zusammenhang stehen, können nicht zu einer Abschwächung der Warnfunktion betreffend die abgemahnten Pflichtverletzungen führen (BAG 15.11.2001 a.a.O., LS 1; BAG 16.09.2004 a.a.O., Rn. 33f.). Im Hinblick auf das Rauchverbot ist der Kläger insgesamt viermal abgemahnt worden. Im konkreten Fall musste der Kläger die in diesen Abmahnungen enthaltenen Kündigungsandrohungen nach wie vor ernst nehmen und durfte sie nicht als "leere" Drohungen verstehen. Dies folgt zunächst aus dem zeitlichen Ablauf. Die erste Abmahnung resultiert aus dem Jahre 1996. Die zweite Abmahnung datiert erst wieder aus dem Jahr 2003. Angesichts des dazwischen liegenden Zeitraums konnte der Kläger nicht von einer Abschwächung der Warnfunktion ausgehen. Nach einem derart langen Zwischenzeitraum musste die Beklagte dem Kläger die Wichtigkeit des Rauchverbots erst wieder vor Augen führen. Nachfolgend hat der Kläger vor Ausspruch der Kündigung lediglich zwei weitere Abmahnungen erhalten. Berücksichtigt man, dass in aller Regel die dritte Abmahnung nicht als "entwertet" angesehen werden kann (BAG 16.09.2004 a.a.O. Rn. 37), lässt sich angesichts des erheblichen zeitlichen Zwischenraums von 1996 (erste Abmahnung) bis zum Jahr 2003 (zweite Abmahnung) unter Berücksichtigung der beiden weiteren Abmahnungen alleine aus der Anzahl der Abmahnungen keine Abschwächung der Warnfunktion ableiten. Es trifft allerdings zu, dass die Androhung arbeitsrechtlicher Maßnahmen in den Abmahnungen aus den Jahren 1996 und 2003 anders formuliert ist als in den Jahren 2007 und 2009. In den beiden ersten Abmahnungen wird darauf hingewiesen, dass der Kläger "mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen" müsse. In den beiden späteren Abmahnungen heißt es an dieser Stelle, dass der Kläger "mit weiteren arbeitsrechtlichen Schritten bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen" müsse. Zunächst ist zur Überzeugung der Kammer entscheidend, dass jede Drohung stets eine gewisse Unsicherheit über das künftige Geschehen ausdrückt. Maßgeblich ist, dass deutlich zum Ausdruck kommt, dass in den genannten Pflichtverletzungen ein ernsthafter Pflichtverstoß gesehen wird (BAG 16.09.2004 a.a.O. Rn. 38). Auch die beiden ersten Abmahnungen haben die Kündigung bei dem nächsten Pflichtverstoß nicht als sicher hingestellt, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass eine dann lediglich erfolgende Abmahnung zu einer Abschwächung der Warnfunktion führte. Soweit die nächsten Abmahnungen auch andere arbeitsrechtliche Maßnahmen nennen, konnte der Kläger daraus nicht schließen, der Arbeitgeber werde bei dem nächsten Verstoß erst mit einer weiteren besonders dringlich gestalteten Abmahnung oder einem eindringlichen Gespräch reagieren, um ihm eine letzte Chance zu geben. Dem steht schon entgegen, dass die Kündigung als arbeitsrechtliche Maßnahme weiter ausdrücklich angedroht blieb. Schon deshalb konnte der Kläger nicht damit rechnen, dass der Arbeitgeber auf dieses Mittel als nächst folgende arbeitsrechtliche Maßnahme verzichten wollte. Es wird vielmehr ausdrücklich angeführt, dass Maßnahmen bis hin zur Kündigung möglich sind.
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c)Die Interessenabwägung fiel im Ergebnis zu Lasten des Klägers aus. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch bis zum – fiktiven – Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist war der Beklagten nicht zuzumuten. Die bei dieser Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände lassen sich nicht abschließend und für alle Fälle einheitlich festlegen. Geht es um die Beurteilung rechtswidrigen schuldhaften Verhaltens des Arbeitnehmers, sind aber stets die beanstandungsfreie Dauer des Arbeitsverhältnisses, das Gewicht und die nachteiligen Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, eine mögliche Wiederholungsgefahr und der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (BAG 28.01.2010 – 2 AZR 1008/08, DB 2010, 1709 Rn. 26).
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Die Kammer hat bei der von ihr vorgenommenen Interessenabwägung insbesondere folgende Umstände berücksichtigt: Zu Gunsten des Klägers hat die Kammer zunächst die lange Dauer des Arbeitsverhältnisses berücksichtigt. Diese wird allerdings dadurch relativiert, dass der Kläger bezogen auf Verstöße gegen das Rauchverbot – nur diese waren für die Kammer entscheidend – keine beanstandungsfreie Betriebszugehörigkeit vorweisen kann. Unabhängig davon, ob es darauf angesichts des konkreten Kündigungsvorwurfs überhaupt ankommen kann, hat die Kammer bei der Interessenabwägung das Alter des Klägers und dessen Unterhaltspflichten berücksichtigt. Gleichwohl fiel die Interessenabwägung zu dessen Lasten aus. Hierbei hat die Kammer zunächst das Gewicht der nachteiligen Auswirkungen des Verstoßes gegen das Rauchverbot berücksichtigt. Die Beklagte als unstreitig feuergefährdeter Betrieb ist darauf angewiesen, dass die Raucherzonen akzeptiert und eingehalten werden. Bei einem Brand drohen erhebliche Personen- und Sachschäden. Da die Beklagte angesichts der Größe des Betriebs die einzelnen Hallen nicht jederzeit kontrollieren kann, ist es von besonderer Wichtigkeit, dass die Mitarbeiter sich an die Raucherzonen halten. Die Kammer hat dabei berücksichtigt, dass das Gewicht der letzten Vertragsverletzung durch den Kläger nach seinem Vortrag in Bezug auf die konkrete Gefährdung gering sei, weil an der konkreten Stelle, vier bis fünf Meter von der Raucherzone entfernt keine Brandgefahr herrschte. Dies ist zur Überzeugung der Kammer nicht entscheidend. Maßgeblich ist, dass der Kläger zur Überzeugung der Kammer am 05.04.2011 bewusst und im Hinblick auf die Vorgeschichte beharrlich außerhalb der Raucherzone rauchte. Die Beklagte konnte dem Kläger mithin nicht mehr das erforderliche Vertrauen entgegenbringen, das für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist erforderlich ist. Der Kläger war über mehrere Jahre viermal außerhalb der Raucherzonen rauchend angetroffen worden. Viermal hatte die Beklagte ihm verdeutlicht, dass sie dies nicht akzeptiert. Sie hatte in den letzten Abmahnungen ausdrücklich auf die betrieblichen Aushänge und die Bedeutung der Raucherzonen hingewiesen. Angesichts dieser Vorgeschichte glaubt die Kammer dem Kläger nicht, dass er am 05.04.2011 lediglich unbedacht außerhalb der Raucherzone geraucht hat. Es handelt sich zur Überzeugung der Kammer um einen bewussten Verstoß gegen das Rauchverbot wobei es ihr auf die Gründe für dieses Verhalten nicht ankam. Mag der Kläger am 22.09.2009 die Raucherzone noch unbewusst verlassen haben, so sieht die Kammer dafür angesichts des Verlassens von vier bis fünf Meter und angesichts der Vorgeschichte keinen Anhalt. Einen Mitarbeiter, der in einem feuergefährdeten Betrieb bewusst außerhalb der Raucherzonen raucht, ist zur Überzeugung der Kammer im Rahmen der Interessenabwägung nicht entscheidend zu Gute zu halten, dass er nach seinem eigenen Vortrag die Zigarettenkippen bislang jederzeit ordnungsgemäß entsorgt hat. Der Mitarbeiter setzt bewusst seine eigene Einschätzung von Sicherheit an die Stelle derjenigen, die von dem Arbeitgeber im Einvernehmen mit dem Betriebsrat und dem Sicherheitsbeauftragten des Betriebs gefunden worden ist. Zur Überzeugung der Kammer muss angesichts der Gesamtumstände davon ausgegangen werden, dass der Kläger – abgestellt auf den Kündigungszeitpunkt – dieses Verhalten wiederholen wird. Dies kann der Arbeitgeber während des Laufs der fiktiven Kündigungsfrist auch zum Schutze der übrigen Belegschaft nicht akzeptieren. Unerheblich ist es zur Überzeugung der Kammer, dass der Kläger nach seiner Behauptung aufgehört hat zu rauchen. Es fehlt schon an einer hinreichend sicheren Prognose, dass der Kläger nunmehr tatsächlich dauerhaft nicht raucht, die zudem bereits im Kündigungszeitpunkt hätte gegeben sein müssen.
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2.Die Beklagte hat die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB von zwei Wochen eingehalten. Der Kläger hat am 05.04.2011 zuletzt gegen das betriebliche Rauchverbot verstoßen. Die Zwei-Wochen-Frist konnte mithin unabhängig von der Frage der Kenntnis der kündigungsberechtigten Person nicht vor dem 19.04.2011 ablaufen. Zu diesem Zeitpunkt war die Kündigungserklärung dem Kläger zugegangen.
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II.Die außerordentliche Kündigung bedurfte nicht der Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG i.V.m. § 103 Abs. 1 BetrVG. Der Kläger genoss als Ersatzmitglied am maßgeblichen Tag, nämlich am Freitag, den 15.04.2011, dem Tag der Abgabe der Kündigungserklärung nur nachwirkenden Kündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Der personelle Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 103 BetrVG erfasst Ersatzmitglieder, soweit sie entweder endgültig für ein ausgeschiedenes Mitglied einrücken (§ 25 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) oder solange sie ein zeitweilig verhindertes Mitglied vertreten (§ 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Unter § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG i.V.m. § 103 BetrVG fallen aber nicht Ersatzmitglieder, die nach Beendigung der Vertretungszeit wieder aus dem Betriebsrat ausgeschieden sind (BAG 18.05.2006 – 6 AZR 627/05, NZA 2006, 1037 Rn. 25). Am 15.04.2011 war der Kläger wieder aus dem Betriebsrat ausgeschieden, weil Herr I. an diesem Tag im Betrieb anwesend war.
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1.Zur Überzeugung der Kammer ist für die Frage, ob der Kläger nur gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG gegen eine ordentliche Kündigung geschützt ist oder aber zur Kündigung die Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG i.V.m. § 103 Abs. 1 BetrVG erforderlich ist, auf den Zeitpunkt der Abgabe der Kündigungserklärung abzustellen (DKKW/Bachner, BetrVG 12. Aufl. 2010, § 103 Rn. 30; KR/Etzel a.a.O., § 103 BetrVG Rn. 62; Fitting, BetrVG 25. Aufl. 2010 § 103 Rn. 9). Soweit teilweise darauf abgestellt wird, dass entscheidend sei, wann der Arbeitgeber seinen Kündigungsentschluss fasst und diesen dem Betriebsrat gegenüber zu erkennen gibt (ArbG Düsseldorf 02.05.1991 – 9 BV 42/91, DB 1991, 2445), oder darauf, wann die Kündigung im Rechtssinne zugegangen ist (LAG Hamm 29.11.1973 – 3 Sa 663/73, DB 1974, 389; LAG Düsseldorf 05.11.1975 – 6 TaBV 21/75, DB 1976, 202; GK-BetrVG/Raab 9. Aufl. 2010, § 103 Rn. 19; Richardi/Thüsing, BetrVG, 12. Aufl. 2010, § 103 Rn. 16; Fischermeier, ZTR 1998, 433), folgt die Kammer diesen Auffassungen nicht. Es trifft zwar zu, dass § 103 Abs. 1 BetrVG dem Schutz des Amtes der betriebs- verfassungsrechtlichen Mandatsträger dient und dieser Zweck nicht erreicht werden kann, wenn das Amt noch gar nicht oder nicht mehr besteht (so GK-BetrVG/Raab a.a.O.). Zu berücksichtigen ist aber, dass dieses Amt vor Eingriffen durch den Arbeitgeber geschützt werden soll. Dies bedeutet, dass auf denjenigen Zeitpunkt abzustellen ist, an dem der Arbeitgeber seine Kündigungsabsicht verwirklicht. Dies ist der Zeitpunkt der Abgabe der Kündigungserklärung. Bei einer schriftlichen Kündigung ist dies dann der Fall, wenn sie den Machtbereich des Arbeitgebers verlässt (BAG 13.11.1975 – 2 AZR 610/74, DB 1976, 969). Dies entspricht zudem der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Anhörung und deren Unwirksamkeit gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG. Eine Kündigung ist in diesem Sinne ausgesprochen, wenn sie den Machtbereich des Arbeitgebers verlassen hat (BAG 13.11.1975 a.a.O.). Dies wird zutreffend damit begründet, dass mit der Abgabe der Willenserklärung der rechtsgeschäftliche Erklärungsvorgang auf Seiten des Arbeitgebers beendet ist. Durch das Abstellen auf die Abgabe der Willenserklärung sowohl bei § 103 Abs. 1 BetrVG als auch bei § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG wird zudem die Frage, welche Vorschrift anzuwenden ist, rechtssicher voneinander abgegrenzt. Weder ist ein Abstellen auf den Zugangszeitpunkt noch auf den Zeitpunkt des Herantretens an den Betriebsrat abzustellen. Dies ist vom Gesetzeszweck her nicht angezeigt. Wird auf die Abgabe der Kündigungserklärung abgestellt, wird das in diesem Zeitpunkt tatsächlich bestehende betriebsverfassungsrechtliche Amt hinreichend geschützt, weil die abschließende Willensbildung des Arbeitgebers dieses beachten muss. Dies ist zur Überzeugung der Kammer entscheidend. Es trifft zwar zu, dass das Amt auch dann objektiv noch beeinträchtigt werden kann, wenn es erst im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung besteht (so Fischermeiner a.a.O. S. 434). Darauf kommt es zur Überzeugung der Kammer jedoch nicht an. Die Unabhängigkeit der Amtsausübung (vgl. GK-BetrVG/Raab a.a.O., § 103 Rn. 1) ist nicht betroffen, wenn in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber seinen abschließenden Kündigungswillen durch Abgabe, d.h. Entäußerung der Kündigungserklärung verwirklicht, überhaupt kein zu schützendes Amt bestand, zumal der tatsächliche Zugang der Kündigungserklärung von reinen Zufälligkeiten beeinflusst sein kann. Maßgeblich ist zur Überzeugung der Kammer auch nicht der Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber den Betriebsrat beteiligt. Der Arbeitgeber beteiligt diesen bezogen auf seine Kündigungsabsicht zu einer künftig erst zu vollziehenden Maßnahme, d.h. er begehrt die Zustimmung zu einer künftig auszusprechenden Kündigung oder hört zu einer künftig auszusprechenden Kündigung an. Dann muss maßgeblich auch auf diese künftige Maßnahme abgestellt werden. Andernfalls dürfte er gegenüber einem Ersatzmitglied zunächst nur das Verfahren gemäß § 102 BetrVG einleiten, auch wenn er weiß, dass in der zweiten Hälfte der Kündigungserklärungsfrist ein Verhinderungsfall eintreten wird. Es ist zur Überzeugung der Kammer nicht ersichtlich, warum der Arbeitgeber dann nicht bezogen auf die künftige Maßnahme sogleich einen Antrag nach § 103 BetrVG stellen können soll. Umgekehrt muss es – wie vorliegend – ausreichend sein, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat lediglich gemäß § 102 BetrVG anhört, wenn nach Abschluss des Anhörungsverfahrens eine Kündigung ohne Zustimmung des Betriebsrats möglich ist. Gegen ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Beteiligung des Betriebsrats spricht zudem, dass das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 05.09.1986 (- 7 AZR 175/85, DB 1987, 1641, Rn. 28) ausgeführt hat, dass so wörtlich "die kündigungsberechtigte Stelle … sich unmittelbar vor dem Ausspruch einer beabsichtigten Kündigung eines Ersatzmitglieds" über dessen kündigungsrechtliche Stellung Gewissheit zu verschaffen hat, d.h. nicht vor Einleitung des Beteiligungsverfahrens. Die Kammer hat die Parteien in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass die drei genannten Zeitpunkte (Anhörung des Betriebsrats, Abgabe oder Zugang der Kündigung) als maßgeblich in Betracht kommen können und auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13.11.1975 (a.a.O.) hingewiesen. Weitere Argumente als die bereits behandelten haben sie dazu nicht vorgebracht.
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2.Die Kündigungserklärung ist vorliegend am Freitag, den 15.04.2011 abgegeben worden. Bei einer schriftlichen Kündigung ist die Abgabe erfolgt, wenn sie den Machtbereich des Arbeitgebers verlässt, was regelmäßig dann der Fall ist, wenn der Arbeitgeber die Erklärung zur Post gibt (BAG 13.11.1975 – 2 AZR 610/74, DB 1976, 969). Es kann offen bleiben, ob die Abgabe vorliegend bereits mit der Übergabe an den Boten oder erst mit dem Einwurf in den Briefkasten des Klägers erfolgte, weil die Beklagte ggfs. den Boten bis zum Einwurf des Schreibens in den Briefkasten noch stoppen konnte und dieser deshalb noch ihrem Machtbereich zuzurechnen war. Beides geschah am Freitag, den 15.04.2011. Da maßgeblich auf die Abgabe abzustellen war, kam es auf die rechtliche Frage, wann bei Einwurf eines Briefes an einem Freitagnachmittag rechtlich von einem Zugang gemäß § 130 Abs. 1 BGB auszugehen ist – noch am Freitag oder erst am folgenden Samstag – nicht mehr an. Auch darauf sind die Parteien von der Kammer in der mündlichen Verhandlung hingewiesen worden.
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3.Am 15.04.2011 bedurfte es zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers nicht der Zustimmung des Betriebsrats der Beklagten gemäß § 103 BetrVG.
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a)Der besondere Kündigungsschutz des § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG i.V.m. § 103 Abs. 1 BetrVG gilt für Ersatzmitglieder, sobald und solange sie nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ein zeitweilig verhindertes Betriebsratsmitglied im Betriebsrat vertreten; denn während der Dauer des Vertretungsfalles sind sie vollwertige Mitglieder des Betriebsrats mit den gleichen Rechten und Pflichten wie ein ordentliches Betriebsratsmitglied (BAG 09.11.1977 – 5 AZR 175/76, NJW 1978, 909 Rn. 11; BAG 17.01.1979 – 5 AZR 891/77, DB 1979, 888 Rn. 13; Fitting a.a.O. § 103 Rn. 9; BAG 05.09.1986 a.a.O., Rn. 22; Uhmann, NZA 2000, 576). Dieser besondere Kündigungsschutz besteht für Ersatzmitglieder des Betriebsrats solange, wie sie ein zeitweilig verhindertes ordentliches Betriebsratsmitglied vertreten. Da ordentliche Mitglieder des Betriebsrats auch außerhalb von Betriebsratssitzungen tätig werden, beginnt der Fall der Stellvertretung mit Beginn der Verhinderung eines ordentlichen Betriebsratsmitglieds. Von einer förmlichen Benachrichtigung des Ersatzmitgliedes oder ähnlichen Voraussetzungen ist das Nachrücken nicht abhängig (BAG 17.01.1979 a.a.O. Rn. 14 ff.; BAG 05.09.1986 a.a.O. Rn. 22). Unerheblich ist auch, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass in Wahrheit gar kein Vertretungsfall vorlag, solange dieser nicht durch eine kollusive Absprache herbeigeführt wurde (BAG 12.02.2004 – 2 AZR 163/03, AP Nr. 1 zu § 15 KSchG 1969 Ersatzmitglied Rn. 14). In der Regel kann deshalb das Ersatzbetriebsratsmitglied den besonderen Kündigungsschutz vom Arbeitsbeginn des Tages an, an dem ein ordentliches Betriebsratsmitglied, z. B. wegen Urlaub oder Krankheit, an der Ausübung seines Amts verhindert ist, in Anspruch nehmen (BAG 17.01.1979 a.a.O. Rn. 16; BAG 05.09.1986 a.a.O. Rn. 23). Dieser besondere Kündigungsschutz endet, wenn das ordentliche Betriebsratsmitglied seine Tätigkeit im Betrieb wieder aufnimmt (BAG 17.01.1979 a.a.O. Rn. 16). Der sich anschließende nachwirkende Kündigungsschutz des § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG für vorübergehend herangezogene Ersatzmitglieder beginnt nach Beendigung der Vertretung im Betriebsrat und beträgt unabhängig von der Dauer der Vertretung ein Jahr. Diese Frist beginnt bei jeder weiteren Vertretung erneut zu laufen (BAG 18.05.2006 a.a.O. Rn. 24). Zu berücksichtigen ist weiter, dass auch die Zeit, in der sich ein Ersatzmitglied auf Betriebsratssitzungen vorbereitet, gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG geschützt ist. Diese in den geschützten Zeitraum einbezogene Vorbereitungszeit beginnt in dem Zeitpunkt, in dem das Ersatzmitglied zu der betreffenden Betriebsratssitzung geladen wird. Andererseits soll dieser Zeitraum nur die für die Vorbereitung notwendige Zeit umfassen. Das wiederum wäre im Einzelfall schwer feststellbar. Deshalb ist eine schematische Regelung, die der Rechtsklarheit in der betrieblichen Praxis dient, erforderlich. Drei Arbeitstage sind deshalb in der Regel für die Vorbereitung ausreichend und angemessen (BAG 17.01.1979 a.a.O. Rn. 20 f.).
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b)Dem Kläger stand am Freitag, den 15.04.2011 kein besonderer Kündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG zu, weil das ordentliche Betriebsratsmitglied, Herr I. an diesem Tag nicht verhindert war. Es trifft allerdings zu, dass dem Kläger zuvor, noch am Donnerstag, den 14.04.2011 dieser besondere Kündigungsschutz zustand, weil er an diesem Tag für den verhinderten Herrn I. nachgerückt war. Es trifft weiter zu, dass ihm dieser Schutz auch seit seiner Einladung zur Betriebsratssitzung am 12.04.2011 zustand. Darauf kommt es indes nicht an, weil der Vertretungsfall am 15.04.2011, dem Tag der Abgabe der Kündigungserklärung beendet war. Unerheblich ist zur Überzeugung der Kammer insoweit, dass Herr I. an diesem Tag erst zur Spätschicht eingeteilt war. Ebenso wie bei dem Beginn des Vertretungsfalls auf den Arbeitsbeginn abzustellen ist, kann für das Ende der Verhinderung nichts anderes gelten (KR/Etzel a.a.O., § 103 BetrVG Rn. 51). Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem vom Arbeitgeber an diesem Tag erstmals Arbeit zugelassen und gezählt wird (so für den Beginn zu einem flexiblen Arbeitszeitmodell LAG Düsseldorf 26.04.2010 – 16 Sa 59/10, PersV 2010, 476 Rn. 54). Dies folgt im Übrigen daraus, dass es sich bei dem Betriebsratsamt um ein Ehrenamt handelt (§ 37 Abs. 1 BetrVG). Ein Betriebsrat ist auch in einem Schichtbetrieb nicht nur während seiner Schicht, sondern den ganzen Arbeitstag im Amt. Eine andere Betrachtungsweise führte dazu, dass dauerhaft und regelmäßig die Besetzung des Betriebsrats sich je nach Zusammensetzung der Schichten änderte. Dies ist mit der Ausgestaltung des Betriebsratsamtes als Ehrenamt nicht vereinbar und ermöglichte zudem dem Arbeitgeber durch die Schichtplanung, auf die Zusammensetzung des Gremiums Einfluss zu nehmen. Der Umstand, dass Betriebsratstätigkeit regelmäßig während der Arbeitszeit geschuldet ist (vgl. BAG 03.12.1987 – 6 AZR 569/85, NZA 1988, 437 Rn. 22), ist in einem Schichtsystem durch entsprechende Arbeitszeitgutschriften lösbar, wie dies der Schichtzettel für Herr U. für die Betriebsratssitzung am 21.04.2011 belegt. Unerheblich ist auch, dass der Kläger jedenfalls ab Montag, den 18.04.2011, ggfs. sogar ab Samstag, den 16.04.2011 Herrn I. vertreten sollte. Die nächste reguläre Betriebsratssitzung war für Donnerstag, den 21.04.2011 anberaumt. Zur Vorbereitung ist dem Kläger der Kündigungsschutz des § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG frühestens für drei Tage vorher, d.h. ab Montag, den 18.04.2011 zuzubilligen. Die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung war jedoch bereits zuvor abgegeben. Für eine Ausweitung der Vorbereitungszeit über die bisherige Rechtsprechung zur Vorbereitung konkreter Betriebsratssitzungen hinaus allgemein auch für Zeiten vor dem Erholungsurlaub des ordentlichen Mitglieds sieht die Kammer aus Gründen der Rechtssicherheit grundsätzlich keinen Anlass. Ob eine Ausweitung des zeitlichen Sonderkündigungsschutzes dann erforderlich ist, wenn wegen der Schwierigkeit oder des Umfangs einer konkret zu bearbeitenden Materie dies erforderlich ist (so Uhmann a.a.O. S. 578), kann offen bleiben. Die Kammer sieht diese Erweiterung allerdings skeptisch, weil es so zu schwierigen Abgrenzungsproblemen zu der Frage, was eine schwierige Materie und was keine ist, käme. Für einen solchen Ausnahmefall bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte. Der Kläger hat lediglich vorgetragen, er sei wegen des Urlaubs von Herrn I. fortlaufend dafür vorgesehen gewesen, auch an weiteren Betriebsratssitzungen teilzunehmen und das Amt aktiv wahrzunehmen. Im Übrigen ist er nach seinem eigenen Vortrag lange Jahre als ordentliches Mitglied und später als Ersatzmitglied für den Betriebsrat tätig geworden, so dass er in Vertretungsfällen auf entsprechendes Erfahrungswissen zurückgreifen konnte.
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c)Es konnte mithin offen bleiben, ob dem Kläger am Samstag, den 16.04.2011, an dem jedenfalls der Zugang der Kündigung erfolgte, der Kündigungsschutz des § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG zustand. Die Kammer hat allerdings insoweit Bedenken, denn Urlaub war dem Betriebsratsmitglied I. erst ab dem 18.04.2011 bewilligt. Dieser Urlaub suspendiert die Pflichten zur Betriebsratstätigkeit (vgl. dazu LAG Düsseldorf 26.04.2010 a.a.O. Rn. 45, 48). Dies gilt allerdings nicht für das vor einem Urlaub liegende Wochenende. Dies muss insbesondere dann gelten, wenn am Samstag bei der Beklagten gearbeitet wird, weil auch dann Betriebsratstätigkeit erforderlich werden kann. Dass Herr I. an diesem Tag tatsächlich verhindert war, konnte der Kläger auf Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung nicht konkret vortragen. Er hat mitgeteilt, dass Herr I. in die Dominikanische Republik verreist sei. Ob die Abreise am Samstag oder Sonntag oder ggfs. erst Montag erfolgt sei, könne er nicht sagen. Letztlich kam es darauf zur Überzeugung der Kammer nicht an.
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III.Die Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG ist ordnungsgemäß erfolgt. Die Beklagte hat den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung des Klägers mit Schreiben vom 12.04.2011 ordnungsgemäß angehört. Hinsichtlich der iSd. § 102 BetrVG ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats gilt eine abgestufte Darlegungslast. Da die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung ist, trifft die Darlegungs- und Beweislast grundsätzlich insoweit den Arbeitgeber. Auf einen entsprechenden Prozessvortrag des Arbeitgebers hin darf sich der Arbeitnehmer aber nicht mehr darauf beschränken, die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung pauschal zu bestreiten. Er hat sich vielmehr nach § 138 Abs. 1 und 2 ZPO vollständig über den vom Arbeitgeber vorgetragenen Sachverhalt zu erklären und im Einzelnen zu bezeichnen, ob er rügen will, der Betriebsrat sei entgegen der Behauptung des Arbeitgebers überhaupt nicht angehört worden, oder in welchen einzelnen Punkten er die tatsächlichen Erklärungen des Arbeitgebers über die Betriebsratsanhörung für falsch oder die dem Betriebsrat mitgeteilten Tatsachen für unvollständig hält (BAG 23.06.2005 – 2 AZR 193/04, AP Nr. 11 zu § 138 ZPO, Rn. 13). Nachdem die Beklagte das Anhörungsschreiben zur Akte gereicht hat, hat der Kläger die Betriebsratsanhörung nicht weiter gerügt. Unstreitig hat die Beklagte die Kündigung auch erst abgegeben, nachdem die Vorsitzende des Betriebsrats ihr abschließend mitgeteilt hatte, dass keine Stellungnahme abgegeben wird.
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B.Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
76
C.Die Kammer hat die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.
77
RECHTSMITTELBELEHRUNG
78
Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei
79
R E V I S I O N
80
eingelegt werden.
96
Dr. Gotthardt Gelißen Schmerbach
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nachfolgende Instanz:
BAG, Urteil Urteil vom 27.09.2012, 2 AZR 955/11
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Mönchengladbach, 2 Ca 1188/11