LAG Köln – 11 Sa 320/09

Interessenausgleich, Namenslliste, Vermutungswirkung, Leiharbeitnehmer

Landesarbeitsgericht Köln,  Urteil vom 14.08.2009, 11 Sa 320/09

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 07.01.2009 – 2 Ca 1849/08 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

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T a t b e s t a n d

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Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung, die Pflicht zur Weiterbeschäftigung und einen Vergütungsanspruch für den Monat November 2008.

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Die am 22.12.1971 geborene Klägerin ist seit dem 01.08.1999 bei der Beklagten als gewerbliche Produktionsmitarbeiterin beschäftigt. Die Beklagte stellt Tiernahrung her und beschäftigt in ihrem Werk E 242 Mitarbeiter.

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Die Beklagte hat unter dem 24.07.2008 einen Interessenausgleich nebst beigefügter Namensliste von 31 zu kündigenden Arbeitnehmern, einen Sozialplan sowie eine Auswahlrichtlinie vereinbart. In der Produktion waren 168 gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigt. Nach I. § 1 des Interessenausgleichs/Sozialplans ist der Wegfall von 31 Arbeitsplätzen in unterschiedlichen Bereichen der Produktion beabsichtigt. Dies soll durch eine Linienoptimierung in verschiedenen Bereichen (11 Mitarbeiter), durch eine Maschinenlaufzeitreduzierung aufgrund der Volumenreduzierung im Trockenbereich (8 Mitarbeiter) sowie den Wegfall zweier Produkte (C und J ) erfolgen, wovon die Stilllegung zweier Maschinen und die Volumenreduktion einer Maschine betroffen seien. Die Klägerin ist in der Namensliste aufgeführt. Ziffer 2. der Auswahlrichtlinie sieht im Rahmen der sozialen Auswahl vor, dass die Personalstruktur, untergliedert in die Altersgruppen 25 – 34, 35 – 44, 45 – 54 und 55 sowie älter erhalten bleiben soll.

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Mit Schreiben vom 28.07.2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 31.10.2008.

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Die Kündigungsschutzklage blieb vor dem Arbeitsgericht ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, da es der Klägerin nicht gelungen sei, die Vermutung des Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse zu widerlegen. Die vereinbarte Betriebsänderung sei nach eigenem Vorbingen der Klägerin jedenfalls zunächst umgesetzt worden. Eine dauerhafte, wesentliche Änderung der Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs sei nicht dargetan. Die Klägerin habe auch nicht dargelegt, dass die Beklagte Stammarbeitsplätze dauerhaft mit Leiharbeitnehmern besetze. Die stark schwankende Anzahl eingesetzter Leiharbeitnehmer spreche erkennbar gegen Einsatz dieser Kräfte als Dauerbesetzung. Die soziale Auswahl sei auch nicht grob fehlerhaft. Die Klägerin habe keinen anderen Arbeitnehmer benannt, der aus demselben betriebsbedingten Kündigungsgrund an ihrer Stelle hätte gekündigt werden müssen. Die Abgrenzung des einzubeziehenden Personenkreises nach Einsatzbereichen halte sich im Rahmen des den Betriebsparteien zukommenden Ermessensspielraums. Die mangelnde Nichtberücksichtigung einer Unterhaltspflicht für ein Kind wirke sich vorliegend allenfalls marginal aus. Die Bildung der Altersgruppen zwecks Erhalts der vorhandenen Altersstruktur stelle ein legitimes Ziel dar. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts vom 07.01.2009 (Bl. 203 ff. d.A.) verwiesen.

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Gegen das ihr am 12.02.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 09.03.2009 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 13.05.2009 begründet.

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Die Klägerin bestreitet, dass eine Linienoptimierung stattgefunden habe und im Bereich Trockenfutter das Volumen dauerhaft reduziert worden sei. Zudem könne die Entlassung weiterer 12 Mitarbeiter durch den Wegfall der Produkte C und J nicht begründet werden, denn die Stilllegung zweier Maschinen sowie die Volumenreduzierung bei einer weiteren Maschine habe bis Dezember 2008 nicht stattgefunden. Zudem sei der Arbeitskräftebedarf durch Einführung neuer Produkte (M , H und G ) im Jahre 2008 angestiegen. Jedenfalls habe sich innerhalb der Kündigungsfrist gezeigt, dass die im Sozialplan vereinbarten Maßnahmen nicht umgesetzt worden seien. Die Beklagte benötige für die Produktion nicht nur 137 Arbeitnehmer, sondern, einschließlich des Lagers, 144 Mitarbeiter. Unter Berücksichtigung von Fehlzeiten ergebe sich ein Arbeitskräftebedarf von 169 Arbeitnehmern. Folglich seien 32 freie Arbeitsplätze vorhanden, die mit Leiharbeitnehmern besetzt seien. Der Umfang des Einsatzes von Leiharbeitskräften sei nach Ausspruch der Kündigung angestiegen. Dies zeige sich an den vorgelegten Personaleinsatzplänen. Die Bildung der Altersgruppen in den Auswahlrichtlinien sei willkürlich. Durch diese Altersgruppenbildung sei der 20-jährige Mitarbeiter H von vornherein unberücksichtigt geblieben. Dies führe ebenso zur grob fehlerhaften Sozialauswahl wie die Nichtberücksichtigung weiterer 10 Arbeitnehmer aus dem gewerblichen Bereich. Wären die Altersgruppen in Zehnjahresabschnitten beginnend mit dem Alter 20 festgelegt worden, wäre die Klägerin in der dann gebildeten Altersgruppe der 31 bis 40 jährigen nicht von der Kündigung betroffen gewesen.

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Die Klägerin beantragt,

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unter Abänderung des am 07.01.2009 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Bonn – 2 Ca 1849/08 EU –

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1) festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 28.07.2008, zugegangen am 28.07.2008, nicht aufgelöst worden ist,

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2) die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin als Produktionsmitarbeiterin weiter zu beschäftigen

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3) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.123,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit Zustellung der Klageerweiterung zu zahlen, abzüglich bezogenen Arbeitslosengeldes im November 2008 in Höhe von 1.182,60 €.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Die Linienoptimierung sei durchgeführt worden, wodurch ein dauerhafter Personalminderungsbedarf entstanden sei. Das Produktionsvolumen in Tonnen Fertigprodukt sei im Vergleich der Jahre 2008 und 2009 um mehr als 16 % zurückgegangen. Die Trockenproduktion sei nicht nur von 40.000 Tonnen auf 31.700 Tonnen zurückgegangen, sondern sogar auf 25.000 Tonnen. Die vorübergehende, sporadische Produktion in einzelnen Schichten der Produkte C und J beruhe unstreitig auf einem unabsehbaren temporären Engpass in dem französischen Schwesterwerk. Die betreffenden Produktionsanlagen seien dadurch nur minimal, stark schwankend und maximal in einem Umfang von 15 % ausgelastet worden. Die von der Klägerin behauptete neue Produktpalette betreffe Produkte mit ähnlich klingendem Namen, die bereits lange vor der im Interessenausgleich vereinbarten Restrukturierungsmaßnahme in die Produktion aufgenommen worden seien. Die Klägerin habe auch nicht dargetan, dass im Hause der Beklagten Stammarbeitsplätze durch Leiharbeitnehmer besetzt wären, die nicht dazu dienten, einen nicht vorhersehbaren Vertretungsbedarf zu decken. Mangels Qualifikation würden die Leiharbeitnehmer mit wechselnden, einfachsten Aushilfstätigkeiten zur Unterstützung des Stammpersonals betraut. Den tatsächlichen Einsatz von Leiharbeitnehmern könne die Beklagte nicht mehr nachvollziehen. Die von der Klägerin vorgelegte Personaleinsatzplanung sei lediglich Basis der Anfrage der Beklagten bei verschiedenen Verleihfirmen gewesen. Es handele sich um Worst-Case-Betrachtungen, tatsächlich seien häufiger weniger, keinesfalls aber mehr Leiharbeitnehmer eingesetzt worden. Zum Umfang des Einsatzes der Leiharbeitnehmer während der Kündigungsfrist sei zu bemerken, dass viele Arbeitnehmer aufgrund der Haupturlaubszeit gefehlt hätten, der Krankenstand nach Ausspruch der Kündigungen erheblich angestiegen und die Produktivität gesunken sei. Der 24-jährige Mitarbeiter H sei nach seinem Ausbildungsende zum 25.06.2008 als Aushilfe im Bereich Quality Assurance beschäftigt worden und somit nicht mit der Klägerin vergleichbar. Bei den weiteren von der Klägerin benannten Mitarbeitern handele es sich nicht um Produktionsmitarbeiter, sondern um Arbeitnehmer mit abgeschlossener Ausbildung als Schlosser oder Elektriker, die im Bereich Maintenance bzw. der Werkstatt beschäftigt seien.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

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I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2 b), c) ArbGG statthaft und wurde innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt sowie begründet.

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II. Die Berufung ist unbegründet, denn das Arbeitsgericht hat mit zutreffenden Gründen die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Die Ausführungen der Klägerin in ihrer Berufungsbegründung rechtfertigen keine abweichende Entscheidung. Die Kündigung der Beklagten vom 24.07.2008 hat das Arbeitsverhältnis der Klägerin rechtswirksam zum 31.10.2008 beendet. Deshalb ist die Beklagte nicht zur Weiterbeschäftigung der Klägerin verpflichtet und schuldet auch keinen Annahmeverzugslohn für den Monat November 2008.

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Aufgrund der namentlichen Bezeichnung der Klägerin in der Namensliste des Interessenausgleichs vom 24.07.2008 wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, §§ 1 Abs. 2, 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG. Der Klägerin ist es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen.

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1. Liegen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG vor, muss der Arbeitnehmer darlegen, dass die Beschäftigung für ihn nicht entfallen ist. Die Vermutungswirkung erstreckt sich auch auf eine fehlende anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit. Die Vermutung der Betriebsbedingtheit führt gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG zur Anwendung des § 292 ZPO, so dass der Beweis des Gegenteils zulässig ist. Es ist erforderlich, dass substantiierter Tatsachenvortrag vorliegt, der den gesetzlich vermuteten Umstand nicht nur in Zweifel zieht, sondern ausschließt. Der Arbeitnehmer muss substantiiert darlegen, wieso der Arbeitsplatz trotz Betriebsänderung noch vorhanden ist oder wo er sonst im Betrieb oder Unternehmen weiterbeschäftigt werden kann. Die Führung des Gegenbeweises kann für den Arbeitnehmer erleichtert werden, wenn es sich um Geschehnisse aus dem Bereich des Arbeitgebers handelt. Dann mindert sich die Darlegungslast des Arbeitnehmers durch die aus § 138 Abs. 1 und 2 ZPO folgende Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers. Zwar reicht es zur Widerlegung der Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG grundsätzlich aus, wenn der Arbeitnehmer substantiiert darlegt und ggfs. beweist, aufgrund der getroffenen Unternehmerentscheidung habe sich der Beschäftigungsbedarf nicht in dem vom Arbeitgeber geltend gemachten Umfang verringert. Geht es hingegen um die Weiterbeschäftigung in einem anderen als den originären Arbeitsbereich des Arbeitnehmers, ist weiter notwendig, dass dort ein freier vergleichbarer (gleichwertiger) oder ein freier Arbeitsplatz zu geänderten (schlechteren) Arbeitsbedingungen vorhanden ist. Als frei sind grundsätzlich solche Arbeitsplätze anzusehen, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt sind. Dem steht es gleich, wenn Arbeitsplätze bis zum Ablauf der Kündigungsfrist frei werden, sofern dies dem Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt bekannt war oder bekannt sein musste. Es ist Sache des Arbeitgebers zu bestimmen, wie er vorhandene Arbeiten auf die beschäftigten Arbeitnehmer verteilt. Er kann grundsätzlich das Verhältnis der Anzahl der Arbeitskräfte zum Volumen der anfallenden Arbeit festlegen. Die Vermutung der Betriebsbedingtheit kommt gemäß § 1 Abs. 5 Satz 3 KSchG dann nicht zur Anwendung, wenn sich die Sachlage nach dem Zustandekommen des Interessensausgleichs so wesentlich geändert hat, dass von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage auszugehen ist. Wesentlich ist die Änderung dann, wenn nicht ernsthaft bezweifelt werden kann, dass beide Betriebspartner oder einer von ihnen den Interessenausgleich in Kenntnis der späteren Änderung nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen hätte. Dies ist etwa der Fall, wenn sich nachträglich ergibt, dass nun gar keine oder eine andere Betriebsänderung durchgeführt werden soll oder wenn sich die im Interessenausgleich vorgesehene Zahl der zur Kündigung vorgesehenen Arbeitnehmer erheblich verringert hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der wesentlichen Änderung ist der Kündigungszeitpunkt (BAG, Urt. v. 23.10.2008 – 2 AZR 163/07 – m.w.N.).

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2. a) Soweit die Klägerin eine dauerhafte Linienoptimierung bestreitet, ist ihr Vorbringen zur Widerlegung der Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG ungeeignet. Das Arbeitsgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, dass zum Kündigungszeitpunkt von einer laut Interessenausgleich geplanten Linienoptimierung auszugehen ist. Das zeigt sich bereits daran, dass selbst nach dem Vortrag der Klägerin die Beklagte zunächst versucht hat, die Anzahl der auf den einzelnen Maschinen eingesetzten Mitarbeiter zu reduzieren. Ergänzend ist zu bemerken, dass die Klägerin lediglich pauschal behauptet, dass die Mitarbeiter nunmehr in dem bisherigen Umfang auf den einzelnen Linien eingesetzt würden, ohne die Linien mit der jeweiligen Mitarbeiterzahl konkret zu benennen.

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b) Auch hinsichtlich der Maschinenlaufzeitreduzierung aufgrund Volumenreduzierung im Trockenbereich sowie der betrieblichen Änderung aufgrund des geplanten Wegfalls zweier Produkte (C und J ) ist das Vorbringen der Klägerin nicht hinreichend. Dass zunächst eine Volumenreduzierung eingetreten ist, wird von der Klägerin zugestanden. Wenn diese Reduktion im Herbst 2008 unstreitig durch einen Engpass im französischen Schwesterwerk vorübergehend kompensiert wurde, ist dies nicht geeignet, einen dauerhaften Beschäftigungsbedarf zu begründen. Hinsichtlich der behaupteten Einführung neuer Produkte hat die Klägerin nicht dargetan, dass diese erst nach der Betriebsänderung in die Produktion aufgenommen worden sind, so dass sich aus der Erweiterung der Produktpalette keine hinreichenden Rückschlüsse auf einen zusätzlichen Personalbedarf ziehen lassen.

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c) Wenn die Klägerin meint, die von ihr behauptete betriebliche Entwicklung stelle jedenfalls eine wesentliche Änderung der Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs dar, kann dem nicht gefolgt werden, denn es handelt sich, soweit relevant, sämtlich um Änderungen nach dem Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung, so dass allenfalls ein Wiedereinstellungsanspruch in Betracht zu ziehen ist.

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d) Für die Klägerin besteht nicht bereits deshalb eine Beschäftigungsmöglichkeit, weil die Beklagte Leiharbeitnehmer einsetzt. Der Beklagten steht es grundsätzlich frei, zu bestimmen, in welchem Umfang sie dauerhaft Personal zur Durchführung der Produktion einsetzt, um das Volumen der anfallenden Arbeit zu bewältigen. Sie hat unstreitig vor und nach der im Interessenausgleich beschriebenen Restrukturierungsmaßnahme Leiharbeitnehmer eingesetzt. Wenn die Klägerin meint, für die Feststellung eines dauerhaften Personalbedarfs sei der Grund des Einsatzes von Leiharbeitskräften unbeachtlich, so kann dem nicht gefolgt werden. Es ist daher nicht plausibel, wenn die Klägerin aufgrund einer Hochrechnung zu erwartender Fehlzeiten zu einem dauerhaften zusätzlichen Arbeitskräftebedarf von 32 Arbeitnehmern/Leiharbeitskräften gelangt.

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aa) Die von Leiharbeitnehmern besetzten Stellen können bei Beachtung der unternehmerischen Organisationsfreiheit nur dann als freie Arbeitsstellen angesehen werden, wenn sie nicht nur als Personalreserve zur Abdeckung eines unvorhersehbar auftretenden Beschäftigungsbedarfs beschäftigt werden (Rost, NZA Beilage 2009, Heft 1, S. 23, 26). Der Arbeitgeber ist grundsätzlich frei in seiner Entscheidung, ob und ggfs. wie lange er eine Abwesenheit von Arbeitnehmern aufgrund von Krankheit, Urlaubs-, Sonderurlaubs- oder aus sonstigen Gründen hinnimmt und wie er sie überbrückt. Wird der Vertretungsbedarf etwa durch rechtlich zulässig gestaltete Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern abgedeckt, denen er durch „Rahmenverträge“ verbunden ist, so ist das durch den Vertretungsbedarf beschriebene Beschäftigungsvolumen nicht frei (vgl.: BAG, Urt. v. 01.03.2007 – 2 AZR 650/05 -). Der Arbeitgeber ist auch frei in der Entscheidung, ob und in welchem Umfang er eine Personalreserve für Vertretungsfälle vorhält (vgl.: BAG, Urt. v. 08.09.1983 – 2 AZR 438/82 -).

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bb) Somit kämen allenfalls diejenigen Arbeitsstellen als frei in Betracht, die dauerhaft unabhängig eines konkreten Vertretungsbedarfs mit Leiharbeitnehmern besetzt sind. Dass die Beklagte sich im Rahmen eines unternehmerischen Konzeptes entschlossen hat, im Abwesenheitsfalle stets auf eine Leiharbeitskraft zurückzugreifen, wird von der Klägerin nicht behauptet. In welchem Umfang die Beklagte kontinuierlich welche Arbeitsplätze mit Leiharbeitskräften unabhängig von einem konkreten Vertretungsanlass besetzt, wird von der Klägerin nicht vorgetragen. Auch die von der Klägerin eingereichten Personaleinsatzpläne weisen erhebliche Schwankungen in dem – unterstellten – Einsatz von Leiharbeitskräften ab der 31. Kalenderwoche auf. So schwankt der Einsatz im Wochendurchschnitt im Bereich Treats zwischen 10,7 und 22,3 sowie im Bereich Dry von 1,5 bis 11,2 in der Spitze. Anhand der von der Klägerin vorgetragenen Zahlen lässt sich auch nicht beurteilen, ob ihre Tätigkeit nunmehr von Leiharbeitnehmer übernommen worden ist, da sie pauschal auf den Einsatz von Leiharbeitskräften ohne Bezug zum Grund des Einsatzes verweist.

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2. Die Kündigung ist nicht wegen einer fehlerhaften sozialen Auswahl sozial ungerechtfertigt gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Die soziale Auswahl war nicht grob fehlerhaft im Sinne des § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG.

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a) Grob fehlerhaft ist eine soziale Auswahl nur, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgelich jede Ausgewogenheit vermissen lässt. Durch § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG soll den Betriebspartnern ein weiter Spielraum bei der Sozialauswahl eingeräumt werden. Das Gesetz geht davon aus, dass durch die Gegensätzlichkeit der von den Betriebspartnern vertretenen Interessen und durch die auf beiden Seiten vorhandene Kenntnis der betrieblichen Verhältnisse gewährleistet ist, dass der Spielraum angemessen und vernünftig genutzt wird. Der Prüfungsmaßstab gilt sowohl für die sozialen Indikatoren und deren Gewichtung selbst als auch die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen. Die Bildung von Altersgruppen zum Zwecke der Altersstruktur der Belegschaft ist grundsätzlich rechtlich nicht zu beanstanden, wobei Gruppenbildungen im Rahmen von „Zehnerschritten“ unbedenklich sind (BAG, Urt. v. 12.03.2009 – 2 AZR 418/07 – m.w.N.).

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b) Soweit die Klägerin weiterhin rügt, die Beklagte habe nicht offen gelegt, welche Vergleichsgruppen sie gebildet habe, ist dies nicht richtig. Die Beklagte hat bereits erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 10.12.2008 die Listen der 168 in die Sozialauswahl einbezogenen Mitarbeiter vorgelegt und hierzu ergänzend am 07.01.2009 zu Protokoll erklärt, dass es sich bei den 168 Arbeitnehmern um jene Mitarbeiter handelt, die im Produktionsbereich beschäftigt werden. Daneben gäbe es noch gewerbliche Arbeitnehmer im Werkstattbereich, im Lager sowie in der Qualitätsprüfung.

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Die grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl lässt sich nicht damit begründen, dass weder der Mitarbeiter H noch die Arbeitnehmer P S , S , K , G , A , J , K , A S , W und G berücksichtigt worden sind. Die Beklagte hat ohne Widerspruch der Klägerin vorgetragen, dass es sich hierbei um Arbeitnehmer der Bereiche Quality Assurance, Maintenance bzw. der Werkstatt handelt. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass diese Arbeitnehmer überhaupt eine vergleichbare Tätigkeit ausüben. Ob diese Arbeitnehmer in der Vergangenheit bei Bedarf auch einmal in der Produktion eingesetzt worden sind, ist im Übrigen unerheblich. Vergleichbar sind Arbeitnehmer, die nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen aufgrund ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse sowie nach dem Vertragsinhalt austauschbar sind. Es geht darum, ob der unmittelbar kündigungsbedrohte Arbeitnehmer den fortbestehenden Arbeitsplatz desjenigen Arbeitnehmers übernehmen kann, dessen Arbeitsplatz nicht weggefallen ist (BAG, Urt. v. 23.10.2008 – 2 AZR 163/07 – m.w.N.). Wegen der weiteren Rügen der Klägerin im Rahmen der Sozialauswahl (Nichtberücksichtigung Kinderfreibetrag) wird auf die überzeugenden Ausführungen des Arbeitsgerichts Bezug genommen.

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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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IV. Die Revision wurde zugelassen. Die Berufungskammer bemisst der Frage, ob Arbeitsstellen, die von Leiharbeitskräften besetzt werden, ohne Berücksichtigung des Grunds des Einsatzes als anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit zu berücksichtigen sind, grundsätzliche Bedeutung zu.

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Weyergraf       Alfter       Holzberger

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Nachfolgende Instanz:    BAG, 2 AZR 42/10

Vorinstanz:   ArbG Bonn, Urteil vom 07.01.2009, 2 Ca 1849/08

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