Fristlose Kündigung – Privatnutzung eines Dienstwagens – Zurückbehalten nach erster fristloser Kündigung
Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 25.01.2011, 7 Sa 521/10
Tenor:
- Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Bayreuth vom 13.04.2010 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Der Kläger trat zum 01.08.2003 bei der Beklagten als kaufmännischer Leiter ein. Dem Arbeitsverhältnis lag ein schriftlicher Dienstvertrag vom 10.06.2003 zugrunde. Ziffer 2 Absatz 7 des Dienstvertrags lautet:
„Hinsichtlich . . . und eines zur Verfügung gestellten Firmen-PKWs . . . gelten die firmeninternen Regelungen, bzw. der gesonderte KFZNutzungsvertrag.“
Nach Ziffer 2.1 der Dienstwagenregelung der Beklagten vom Januar 2007 kann das Fahrzeug in angemessenem Umfang auch privat genutzt werden, soweit dienstliche Belange dem nicht entgegenstehen.
Unter 8.4 der Dienstwagenregelung heißt es:
„In jedem Fall ist das Fahrzeug inkl. aller dazugehörenden Papiere sowie des Zubehörs spätestens mit Ablauf des Anstellungsverhältnisses des Mitarbeiters an die T… K… GmbH zurückzugeben. Sofern eine Freistellung mit der Vertragsauflösung verbunden ist, muss das Fahrzeug mit Beginn der Freistellung entschädigungslos abgegeben werden. Gegen den Herausgabeanspruch steht dem Nutzer in keinem Falle ein Zurückbehaltungsrecht zu.“
Ein Exemplar der Dienstwagenregelung ist vom Kläger unterschrieben.
Ein formularmäßiger Kfz-Überlassungsvertrag vom Mai 2007 enthält folgende Regelungen:
„1. Der PKW wird dem Mitarbeiter zur dienstlichen Nutzung überlassen. Private Nutzung im Rahmen des üblichen ist gestattet.
. . .
9. Die Fahrzeugüberlassung kann von der Firma jederzeit widerrufen werden. Sie endet insbesondere automatisch und ohne Ausspruch einer Kündigung mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Der Mitarbeiter ist verpflichtet, im Falle einer Kündigung oder Freistellung das Fahrzeug umgehend am Betriebssitz zurückzugeben und mit allen Zubehörteilen zur Verfügung zu stellen.“
Ein Vertragsexemplar wurde seitens der Beklagten unterzeichnet, der Kläger hat darauf nicht unterschrieben.
Mit Schreiben vom 09.11.2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.05.2010. Das Kündigungsschreiben wurde dem Kläger am 09.11.2009 von Herrn L… und Frau D…-K… persönlich in seinem Büro übergeben. Der Kläger wurde von Herrn L… aufgefordert, die Fahrzeugschlüssel herauszugeben, was der Kläger verweigerte. Nach einigem Hin- und Her ließ Herr L… den Kläger mit dem Fahrzug vom Hof fahren.
In einem Schreiben vom 10.11.2009 forderte die Beklagte den Kläger auf, das Fahrzeug unverzüglich auf dem Firmengelände abzugeben. Gleichzeitig teilte sie mit, dass dies auch für das restliche Firmeneigentum gelte. Die Beklagte setzte eine „letzte Frist“ bis 11.11.2009, 16.00 Uhr. Für den Fall, dass der Kläger diese Frist nicht einhalte, kündigte die Beklagte eine Strafanzeige an.
Herr L… teilte dem Prozessvertreter des Klägers am 11.11.2009 telefonisch mit, es gebe eine unterschriebene Dienstwagenregelung, aufgrund derer der Kläger zur Rückgabe des Fahrzeuges verpflichtet sei. Auf Bitte des Prozessvertreters übermittelte Herr L… diesem am selben Tag per Fax eine Dienstwagenregelung Stand 11-2008 sowie das Schreiben vom 10.11.2009.
Der Kläger erhob gegen die Kündigungen vom 09.11.2009 am 12.11.2009 die vorliegende Kündigungsschutzklage. Die Klageschrift enthält in Antrag III einen allgemeinen Feststellungsantrag.
Mit anwaltlichem Schreiben vom selben Tag bat der Kläger die Beklagte um „unverzügliche Mitteilung der Kündigungsgründe“. Gleichzeitig bat er um die kurzfristige Überlassung des unterschriebenen Kfz-Nutzungsvertrags. Unter Hinweis darauf, dass eine derartige Vereinbarung von ihm nicht unterschrieben worden sei, teilte der Kläger mit, eine Rückgabeverpflichtung bestehe nicht.
In einem Telefonat mit dem Prozessvertreter des Klägers am 12.11.2009 erklärte der Prozessvertreter der Beklagten, der Kläger müsse wegen der Verweigerung der Kfz-Rückgabe mit einer weiteren fristlosen Kündigung rechnen.
Der Kläger gab am 12.11.2009 Blackberry, Handy und eine Arbeitsbescheinigung in der Pforte der Beklagten ab.
Das Fahrzeug gab er nicht zurück. Es war bis 16.12.2009 in seinem Besitz. Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 24.11.2009 das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.05.2010. Mit Schriftsatz vom 28.02.2010, der am 01.03.2010 beim Arbeitsgericht Bayreuth einging, erweiterte der Kläger den Antrag III um die Feststellung,
dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die Kündigung vom 24.11.2009 aufgelöst worden sei.
Die Beklagte stützte die außerordentliche Kündigung vom 09.11.2009 auf ihrer Ansicht nach bestehende schwerwiegende Versäumnisse des Klägers als kaufmännischer Leiter im Hinblick auf ein strategisches Investitionsprojekt.
Das Arbeitsgericht Bayreuth stellte mit Teilurteil vom 13.04.2010 fest, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung vom 09.11.2009 noch durch die außerordentliche Kündigung vom 24.11.2009 aufgelöst worden sei, sondern zumindest bis 16.03.2010 fortbestanden habe.
Das Urteil wurde der Beklagten am 18.06.2010 zugestellt.
Die Beklagte legte gegen das Urteil am 12.07.2010 Berufung ein, soweit darin die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 24.11.2009 festgestellt wurde, und begründete sie am 06.08.2010.
Die Beklagte trägt vor, dem Kläger sei am 05.06.2007 ein Kfz-Überlassungsvertrag mit anliegender Dienstwagenregelung vorgelegt worden. Der Kläger habe zwar (nur) auf der Dienstwagenregelung unterschrieben. Er habe aber mit seiner Unterschrift die Regelungen des Kfz-Überlassungsvertrags wie auch die Dienstwagenregelung zur Kenntnis genommen. Er habe somit auch die bei Freistellung/Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehende Regelung der zwingenden Rückgabe des Dienstfahrzeuges gekannt und diese akzeptiert.
Die Beklagte führt aus, der Kläger habe Herrn L… am 09.11.2009 versichert, er werde das Fahrzeug am nächsten Tag zuverlässig zurückbringen. Sie macht geltend, der Kläger habe ihr das Fahrzeug unter vorsätzlicher Missachtung der Herausgabepflicht vorenthalten. Mit einer Billigung dieses Verhaltens durch sie, die Beklagte, habe er von vornherein nicht rechnen können, weshalb eine vorherige Abmahnung nicht geboten sei. Der Kläger müsse spätestens durch die fristlose Kündigung vom 09.11.2009 erkannt haben, dass er sich korrekt zu verhalten habe. Darüber hinaus sei eine Abmahnung gegenüber dem Prozessvertreter des Klägers erfolgt.
Die Beklagte beantragt:
1. Das Teilurteil vom 13.04.2010 des Arbeitsgerichts Bayreuth, Az. 3 Ca 1540/09, wird abgeändert.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 24.11.2009 beendet wurde.
Der Kläger beantragt:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Bayreuth vom 13.04.2010 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Kläger trägt vor, er habe niemals behauptet, er würde das Dienstfahrzeug nicht zurückgeben.
Er habe vielmehr immer betont, dass er dies selbstverständlich sofort tun werde, wenn es eine ihm aufgezeigte Rechtsgrundlage, z.B. ein gültiges Vertragswerk gebe.
Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Absatz 1und Absatz 2 c) ArbGG, sowie form- und fristgerecht eingelegt worden, § 66 Absatz 1 Satz 1und 2 ArbGG.
Die Berufung ist unbegründet.
Das Erstgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass die außerordentliche Kündigung vom 24.11.2009 das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht beendet hat.
Der Kläger hat die Dreiwochenfrist zur Klageerhebung gewahrt, §§ 4, 13 Absatz 1 Satz 2, 7 KSchG.
Der Kläger hat zwar erst nach Ablauf der Frist, nämlich mit Schriftsatz vom 28.02.2010 seine Klage dahingehend erweitert, dass festgestellt werden sollte, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung vom 24.11.2009 nicht beendet worden. Die Dreiwochenfrist ist indes durch den allgemeinen Feststellungsantrag vom 12.11.2009 gewahrt worden.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann ein Arbeitnehmer neben der nach § 4 KSchG gegen eine Kündigung gerichteten Klage eine allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO auf Feststellung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen über den Kündigungsendtermin hinaus erheben und damit zwei selbständige prozessuale Ansprüche geltend machen. Bei einer zulässigen allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 ZPO wird nach dieser Rechtsprechung der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, und zwar unter Einbeziehung eventueller Kündigungen, geprüft; es seien deshalb alle nach dem Vortrag der Parteien in Betracht kommenden Beendigungsgründe zu erörtern. Bei der Frage, ob sich ein allgemeiner Feststellungsantrag auf einen bestimmten Beendigungstatbestand beziehe oder nicht, sei entscheidend zu berücksichtigen, ob für den Arbeitgeber hinreichend erkennbar werde, dass der Arbeitnehmer jeden Beendigungstatbestand angreifen wolle. Durch die Frist des § 4 KSchG solle sicher gestellt werden, dass der Arbeitgeber, wenn er nicht alsbald nach Ablauf von drei Wochen nach Zugang der Kündigung eine gegen diese Kündigung gerichtete Klage erhalte, auf die Rechtfertigung der Kündigung im Umfang der Fiktionswirkung des § 7 KSchG vertrauen könne. Sei durch eine Klageerhebung sichergestellt, dass der Arbeitgeber unter Wahrung der Frist des § 4 KSchG gewarnt sei, so sei die Funktion der Norm erfüllt (vgl. Bundesarbeitsgericht – 12.05.2005 – 2 AZR 426/04 = AP Nr. 53 zu § 4 KSchG 1969 und NZA 2005/1259).
Aus diesem Grund wahrt ein allgemeiner Feststellungsantrag die Frist des § 4 KSchG auch hinsichtlich weiterer, noch nicht ausgesprochener Kündigungen, wenn der Kläger damit zum Ausdruck bringen will, er sei mit keinem Beendigungstatbestand einverstanden. Das erkennende Gericht hat bezüglich dieser Rechtsprechung zwar rechtliche Bedenken, weil die Rechtsprechung auf eine Vorratsklage hinausläuft, die in der Zivilprozessordnung keine Stütze findet, folgt ihr indes gleichwohl, um die Parteien nicht in unnötige Rechtsmittel zu zwingen. Insbesondere ist nicht damit zu rechnen, dass das Bundesarbeitsgericht seine gefestigte Rechtsprechung ändern wird.
Gemessen an den vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Kriterien hat der Kläger mit dem allgemeinen Feststellungsantrag die Dreiwochenfrist gewahrt. Aus dem Antrag selbst ergibt sich, dass der Kläger sich gegen jeden Beendigungstatbestand wenden will.
Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam.
Gemäß § 626 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der das erkennende Gericht folgt, zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (vgl. Bundesarbeitsgericht – Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 = NZA 2010/1227 und DB 2010/2395).
Die Beklagte stützt die außerordentliche Kündigung darauf, der Kläger habe das ihm überlassene Fahrzeug entgegen ihrem Herausgabeverlangen nicht herausgegeben, sondern weiter genutzt. Dieser Sachverhalt ist unstreitig.
Die unbefugte Nutzung eines dem Arbeitgeber gehörenden PKW stellt an sich einen Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses dar.
Es ist der Beklagten darin zuzustimmen, dass die unbefugte Nutzung eines Kraftfahrzeugs eine Straftat darstellt, nämlich nach § 248b StGB. Insbesondere erfüllt auch derjenige, der das Fahrzeug, wie hier, zunächst befugt in Gebrauch nimmt und es später gegen den Willen des Eigentümers (oder des an seiner Stelle Berechtigten) unbefugt weiter nutzt, den objektiven Tatbestand der zitierten Vorschrift.
Ein Arbeitnehmer, der entgegen dem Verlangen des Arbeitgebers ein ihm überlassenes Fahrzeug nicht zurückgibt, verletzt die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers und zeigt damit ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen.
Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber kein Recht zum Besitz hat, sondern verpflichtet ist, das Fahrzeug herauszugeben.
Dies ist vorliegend der Fall.
Der Kläger war nach Erhalt der außerordentlichen Kündigung vom 09.11.2009 verpflichtet, dem Verlangen der Beklagten nachzukommen und das Fahrzeug herauszugeben. Der Arbeitnehmer, dem vom Arbeitgeber ein Fahrzeug überlassen worden ist, steht, jedenfalls wenn hierauf ein vertraglicher Anspruch besteht, gegenüber dem Herausgabeverlangen des Arbeitgebers ein Recht zum Besitz zu, das eine Einwendung begründet. Das Recht zum Besitz endet indes wie die Lohnzahlungspflicht oder der Beschäftigungsanspruch regelmäßig dann, wenn das Arbeitsverhältnis beendet wird. Grundsätzlich ist der Arbeitnehmer verpflichtet, bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses die dem Arbeitgeber zustehenden Gegenstände, sei es nun Eigentum oder Leasinggut, also auch das Dienstfahrzeug herauszugeben. Allerdings steht gerade beim Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung nicht mit Sicherheit fest, ob das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung rechtlich aufgelöst wurde, insbesondere ob für die Kündigung ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB vorgelegen hat. Darüber besteht frühestens mit Erlass eines der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteils Klarheit. Aufgrund der Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, die durch die außerordentliche Kündigung begründet wird, besteht zunächst grundsätzlich ein Herausgabeanspruch des Arbeitgebers an dem Firmenfahrzeug ungeachtet der Frage, ob die Kündigung wirksam ist oder nicht. Insoweit ist das Recht zum Besitz nicht anders zu beurteilen als Vergütungsansprüche oder ein Weiterbeschäftigungsanspruch, die ebenfalls davon abhängen, ob das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet wurde.
Etwas anderes kann – wie beim Weiterbeschäftigungsanspruch – nur gelten, wenn die betreffende Kündigung offensichtlich unwirksam ist. Ist die Kündigung offensichtlich unwirksam, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger im Prozess obsiegt und er deswegen seit dem tatsächlichen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis einen Anspruch darauf hatte und künftig haben wird, dass ihm das Fahrzeug weiter zur Verfügung gestellt wird. In diesem Falle kann das Interesse des Arbeitnehmers an der tatsächlichen Nutzung überwiegen (vgl. hierzu Landesarbeitsgericht Hamm – Urteil vom 09.11.2010 – 12 Sa 1376/10).
Offensichtlich unwirksam ist eine Kündigung dann, wenn sie ohne nähere Prüfung und Wertung den Makel der Unwirksamkeit auf der Stirn trägt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine Kündigung unstreitig ohne die erforderliche behördliche Genehmigung, z.B. bei der Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers, erklärt worden ist oder nicht heilbare formelle Fehler, z.B. fehlende Schriftform, vorliegen. Liegen derartige Unwirksamkeitsgründe vor, gibt es keinen Spielraum hinsichtlich der Frage der Wirksamkeit der betreffenden Kündigung. Ob das Verhalten, das für den Arbeitgeber ausschlaggebend war, einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellt, unterliegt hingegen einer Wertung im Rahmen des § 626 Absatz 1 BGB.
Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 09.11.2009 war nicht offensichtlich unwirksam in diesem Sinne. Die Beklagte hat die Kündigung auf ihrer Ansicht nach bestehende schwerwiegende Versäumnisse des Klägers als kaufmännischer Leiter im Hinblick auf ein strategisches Investitionsprojekt gestützt. Schlechtleistungen können zwar in aller Regel lediglich den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung rechtfertigen und dies auch erst dann, wenn eine vorherige Abmahnung erfolglos geblieben ist. Ausgeschlossen ist eine derartige außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung indes nicht (vgl. hierzu KR, 9. Auflage, Rdnr. 442 zu § 626 BGB).
Die Weigerung des Klägers, das Fahrzeug herauszugeben, stellt daher eine Verletzung der dem Kläger obliegenden arbeitsvertraglichen Pflichten dar.
Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass nunmehr rechtskräftig festgestellt ist, dass die außerordentliche Kündigung vom 09.11.2009 das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat. Maßgebend ist vielmehr, wie sich die Rechtslage zum Zeitpunkt des Herausgabeverlangens darstellte.
Gleichwohl ist die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 24.11.2009 nicht wirksam.
Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung – etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf.
Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen.
Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen.
Vorliegend hätte die Beklagte den Kläger abmahnen müssen. Der Kläger hat sich seit dem Herausgabeverlangen der Beklagten darauf berufen, nicht zur Rückgabe des Fahrzeugs verpflichtet zu sein, weil er eine entsprechende vertragliche Vereinbarung nicht unterzeichnet habe. Eine derartige Vereinbarung liegt auch tatsächlich nicht vor. Die Beklagte macht zwar geltend, der Kläger habe, indem er die Dienstwagenregelung unterzeichnet habe, auch die Regelungen im Kfz-Überlassungsvertrag anerkannt. Dieser Schluss ist indes nicht zwingend.
Die Regelungswerke sind nicht einheitlich. So heißt es unter 8.4 der Dienstwagenregelung, das Fahrzeug sei spätestens mit Ablauf des Anstellungsverhältnisses an die Beklagte zurückzugeben. Ob das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 09.11.2009 beendet wurde, war indes gerade streitig. Dagegen ist nach Ziffer 9 des Kfz-vertrags das Fahrzeug bereits im Falle einer Kündigung umgehend am Betriebssitz zurückzugeben.
Nach dieser Regelung wird die Rückgabepflicht bereits mit dem Ausspruch einer Kündigung ausgelöst. Wenn der Kläger aufgrund dieser Umstände nicht davon ausging, die Beklagte sei berechtigt, von ihm die Herausgabe des PKW zu verlangen, so liegt darin ein Umstand, der bei der Würdigung, ob die Kündigung berechtigt war, zugunsten des Klägers zu beachten ist. Dies gilt umso mehr, als der Kläger sich umgehend von einem Rechtsanwalt beraten ließ und dieser, wie von der Beklagten nicht bestritten wird, beim Arbeitsgericht Bayreuth eine Schutzschrift gegen einen etwaigen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung der Beklagten auf Herausgabe des Fahrzeugs einreichte.
Der Kläger war, hiervon muss ausgegangen werden, fest davon überzeugt, er habe trotz der außerordentlichen Kündigung vom 09.11.2009 weiterhin einen Anspruch auf die Nutzung des Fahrzeugs, weil die Kündigung aus seiner Sicht unwirksam war. Dies bedeutet, dass die Weigerung des Klägers, das Fahrzeug herauszugeben, nicht eine vorsätzliche Vertragsverletzung darstellt, sondern auf der – allerdings falschen – Annahme beruhte, nicht zur Herausgabe verpflichtet zu sein.
Vor diesem Hintergrund bedurfte es vor einer Kündigung einer erfolglosen Abmahnung, also des Hinweises der Beklagten, sie werde, wenn der Kläger das Fahrzeug nicht herausgebe, eine weitere außerordentliche Kündigung aussprechen.
Die Abmahnung hätte zwar möglicherweise nicht bewirkt, dass sich die Rechtsauffassung des Klägers änderte. Der Kläger hätte indes die Entscheidung gehabt, entweder seinen Rechtsstandpunkt durchzusetzen oder, um seinen Arbeitsplatz nicht weiter zu gefährden, den PKW doch herauszugeben.
Der Kläger musste nicht damit rechnen, dass die Beklagte sein Verhalten zum Anlass nehmen würde, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Gerade in diesem Fall hätten der Beklagten andere, weitaus effektivere Möglichkeiten der Reaktion zur Verfügung gestanden, um an das Fahrzeug zu gelangen. So hätte die Beklagte beispielsweise den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Herausgabe des PKW beantragen können. Hiermit rechnete der Kläger offensichtlich auch, sonst wäre keine Schutzschrift eingereicht worden.
Eine Abmahnung ist nicht ausgesprochen worden.
Auch wenn unstreitig ist, dass der Prozessvertreter der Beklagten den Prozessvertreter des Klägers in einem Telefonat am 12.11.2009 darauf hinwies, der Kläger müsse mit einer weiteren fristlosen Kündigung rechnen, wenn er das Fahrzeug nicht zurückgebe, liegt darin keine wirksame Abmahnung des Klägers. Unabhängig davon, ob die dem Prozessvertreter der Beklagten erteilte Vollmacht Erklärungen dieser Art umfasste, kann eine Abmahnung nur dann Wirkung entfalten, vor allem eine Warnfunktion auslösen, wenn der Arbeitnehmer von ihr Kenntnis erhalten hat. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dem Kläger die Aussage des Prozessvertreters vor der Rückgabe des Fahrzeugs übermittelt worden ist.
Die außerordentliche Kündigung ist daher zu Unrecht erfolgt und hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht beendet.
Das Teilurteil des Erstgerichts ist somit zutreffend, eine Änderung nicht veranlasst.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Absatz 1 ZPO.
Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlass, § 72 Absatz 2
ArbGG.
Weißenfels Riegler Bratkowski