LAG Düsseldorf – 6 Sa 1001/11

Anforderungen an die Zustimmungsverweigerung nach § 38 MVG.EKD

Landesarbeitsgericht Düsseldorf,  Urteil vom 03.02.2012, 6 Sa 1001/11

Leitsätze:

  1. Die gemäß § 38 Abs.3 S.5 des Mitarbeitervertretungsgesetzes der Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG.EKD) erforderliche Begründung einer Zustimmungsverweigerung muss so gefasst sein, dass der Arbeitgeber erkennen kann, worauf es der Mitarbeitervertretung ankommt. Wird die Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung nach Ablauf der Probezeit verweigert, so muss die Begründung es als möglich erscheinen, dass die Kündigung gegen eine Rechtsvorschrift, eine arbeitsrechtliche Regelung, eine andere bindende Bestimmung oder eine rechtskräftige Entscheidung verstößt (vgl. § 41 Abs.2 MVG.EKD). Eine Zustimmungsverweigerung, die lediglich erklärt wird, weil sich der Arbeitgeber weigert, die Zahlung einer Abfindung anzubieten, entfaltet keine Wirkung. In diesem Fall gilt die Zustimmung gemäß § 38 Abs.3 S.1 MVG.EKD als erteilt. 2. Fehlt es mangels ausreichender Begründung an einer wirksamen Zustimmungsverweigerung, so kann der Arbeitgeber kündigen, ohne zuvor das Kirchengericht anzurufen.

Tenor:

I.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 07.07.2011 – AZ: 4 Ca 1877/10 – abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

III.

Die Revision wird zugelassen.

1

T a t b e s t a n d:

2

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten ordentlichen Kündigung.

3

Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter der G & A T. Waisenhausstiftung (Schuldnerin). Diese führte ein Waisenhaus. Zuletzt wurde dort eine Wohngruppe mit einer 24-stündigen Betreuung und eine Tagesgruppe mit einer Nachmittagsbetreuung schulpflichtiger Kinder betrieben. Die am 26.12.1954 geborene Klägerin war bei der Schuldnerin seit dem 01.10.2006 als Diplom Sozialpädagogin mit einer Wochenarbeitszeit von 19,25 Stunden gegen ein monatliches Bruttoentgelt von zuletzt 1.624,97 € beschäftigt. Arbeitsvertraglich wurde zudem die Geltung des Kirchlichen Arbeitsvertragsrechts für Angestellte – Bundesangestelltentarifvertrag vom 23.02.1961 – in der jeweils im Bereich des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche im Rheinland geltenden Fassung (BAT-KF) vereinbart.

4

Die Schuldnerin beschäftigte zuletzt vier Vollzeitkräfte, drei Arbeitnehmer/innen mit mehr als zwanzig und nicht mehr als dreißig Stunden wöchentlich sowie einschließlich der Klägerin sechs Mitarbeiter/innen mit nicht mehr als zwanzig Stunden/Woche. Des Weiteren wurde eine Betriebspraktikantin beschäftigt.

5

Im Betrieb der Schuldnerin wurde auf der Grundlage des Mitarbeitervertretungsgesetzes der Evangelischen Kirche (MVG.EKD) eine Mitarbeitervertretung gewählt. Am 21.09.2010 beschloss das Stiftungskuratorium der Schuldnerin, den pädagogischen Betrieb mit Wirkung zum 31.12.2010 endgültig einzustellen. Hierüber informierte das Kuratorium am 22.09.2010 die Mitarbeitervertretung. In diesem Gespräch nannte der Vorsitzende der Mitarbeitervertretung den Kuratoriumsmitgliedern sowie dem ebenfalls anwesenden jetzigen Prozessbevollmächtigten des Beklagten, Rechtsanwalt Klemann, ein von der Mitarbeitervertretung eingerichtetes e-mail-Postfach. Am 24.09.2010, 16.10 Uhr, übersandte Rechtsanwalt Klemann der Mitarbeitervertretung im Auftrag der Schuldnerin acht Anträge auf Zustimmung zu beabsichtigten Kündigungen in Form von Word-Dateien. Darunter befand sich auch ein Anhörungsschreiben betreffend die Klägerin, wegen dessen Einzelheiten auf Bl. 22 und 23 d.A. Bezug genommen wird. Für die Word-Dateien war die Option „automatische Datierung“ verwendet worden. Die e-mail ist nebst Anhängen am 24.09.2010 im e-mail-Postfach der Mitarbeitervertretung eingegangen. Am 27.09.2010 bat Rechtsanwalt Klemann die Mitarbeitervertretung um eine Bestätigung des Erhalts der e-mail vom 24.09., erhielt jedoch keine Antwort. Erst am 29.09.2010 las der Vorsitzende der Mitarbeitervertretung die e-mail vom 24.09.2010 nebst Anhängen und druckte die Schreiben aus. Aufgrund der Funktion „automatische Datierung“ enthielten die Schreiben das Ausstellungsdatum „29.09.2010“.

6

Am 30.09.2010 fand eine Sitzung statt, an der Vertreter des Kuratoriums einschließlich Rechtsanwalt Klemann sowie der Vorsitzende der Mitarbeitervertretung und dessen Stellvertreter teilnahmen. Dabei wurde seitens der Schuldnerin nachgefragt, ob die Mitarbeitervertretung die Anträge auf Zustimmung zur Kündigung erhalten habe. Der Vorsitzende der Mitarbeitervertretung bestätigte einen Eingang am 29.09.2010. Nach Rückfrage bei Rechtsanwalt Klemann bezüglich der Frist zur Stellungnahme stimmten die anwesenden Sitzungsteilnehmer darin überein, dass die Frist bis zum 13.10.2010 laufe.

7

Die Mitarbeitervertretung widersprach den beabsichtigten Kündigungen mit einem am 12.10.2010 per Telefax übersandten Schreiben. In diesem Schreiben – wegen dessen Einzelheiten auf die von dem Beklagten übersandte Anlage 1 (Bl. 152-153 d.A.) Bezug genommen wird – führte die Mitarbeitervertretung u.a. Folgendes aus:

8

„… Grundsätzlich gilt anzumerken, dass Sie weder einen Kündigungstermin nennen, noch einen Hinweis geben, in welcher Form Sie mit den Kündigungsfristen verfahren, die, mit Ausnahme von Frau H., alle über den beabsichtigten Termin der Schließung des pädagogischen und verwaltungstechnischen Bereichs der Kinder- und Jugendhilfe herausragen. … Ebenso fehlt der Hinweis auf die nach § 8 RSO zu zahlenden Abfindungen.

9

10

Aus diesem Grund lehnt die MAV ihre Kündigungsbegehren zu Lasten der Mitarbeiterinnen … und H. (wegen fehlender Abfindungsbereitschaft) ab.

11

…“

12

Die Schuldnerin kündigte das Arbeitsverhältnis mit einem Schreiben vom 25.10.2010 zum 31.12.2010, ohne zuvor die Zustimmung der Mitarbeitervertretung kirchengerichtlich ersetzen zu lassen. Zudem wurden die Arbeitsverhältnisse der anderen pädagogischen Mitarbeiter/innen und die Mietverträge der genutzten Gebäude zum nächstmöglichen Zeitpunkt gekündigt. Zum Ende des Jahres 2010 wurden die Wohn- und die Tagesgruppe geschlossen. Die Mitarbeiter/innen mit längeren Kündigungsfristen wurden ab dem 01.01.2011 bis zur Beendigung der Arbeitsverhältnisse freigestellt.

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Mit ihrer am 05.11.2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage vom 04.11.2010, die der Beklagten am 10.11.2010 zugestellt worden ist, hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. Am 01.04.2011 ist über das Vermögen der Stiftung das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Mit einem am 11.04.2011 eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin das Verfahren gegen den Beklagten aufgenommen.

14

Die Klägerin hat das Fehlen einer sozialen Rechtfertigung gemäß § 1 KSchG sowie die Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl gerügt. Sie hat vorgetragen, das Kündigungsschutzgesetz finde Anwendung, da die Schuldnerin mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftige. Auch die Betriebspraktikantin sei eine Arbeitnehmerin im Sinne des § 23 Abs.1 KSchG, da sie Arbeitsleistungen erbracht habe.

15

Weiter hat die Klägerin gerügt, die Kündigung sei gemäß § 38 Abs.1 S.2 MVG.EKD unwirksam, weil die Kündigung ohne Zustimmung der Mitarbeitervertretung ausgesprochen worden sei. Sie hat die Ansicht vertreten, die Stellungnahmefrist sei bis zum 13.10.2010 gelaufen. Vor dem 29.09.2010 könne kein Zugang des Antrags auf Zustimmung angenommen werden. Hierzu trägt die Klägerin vor, die Mitarbeitervertretung habe aus dienstlichen Gründen keine Möglichkeit gehabt, die e-mail vor dem 29.09.2010 abzurufen. Zumindest aber hätten die Betriebsparteien die Frist einvernehmlich auf den 13.10.2010 verlängert.

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Die Klägerin hat beantragt,

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festzustellen, dass ihr Arbeitsverhältnis durch die schriftliche Kündigung der Insolvenzschuldnerin vom 25.10.2010 zum 31.12.2010 nicht aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht;

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hilfsweise für den Fall der Abweisung der Kündigungsschutzklage den Beklagten zu verurteilen, ihr ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen.

19

Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

21

Der Beklagte hat vorgetragen, das Kündigungsschutzgesetz finde keine Anwendung. Die Betriebspraktikantin sei keine Arbeitnehmerin. Jedenfalls aber sei diese – was von der Klägerin nicht bestritten worden ist – nicht in einem Umfang beschäftigt worden, der dazu führe, dass sie gemäß § 23 Abs.1 KSchG als volle Kraft berücksichtigt werden könne. Zudem sei die Kündigung ohnehin wegen der Schließung der Wohngruppen und des Fehlens jeglicher Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten gerechtfertigt. Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Antrag auf Zustimmung zur Kündigung gelte spätestens am 27.09.2010 als zugegangen, da die Mitarbeitervertretung an diesem Tag davon hätte Kenntnis nehmen können. Eine Vereinbarung über eine Verlängerung der Frist zur Stellungnahme sei nicht getroffen worden. Vielmehr habe man lediglich ausgehend von dem seitens der Mitarbeitervertretung genannten Zugangsdatum „29.09.2010“ die Auskunft gegeben, dass die 14-tägige Frist dann am 13.10.2010 ablaufe. Dies sei eine bloße Wissens-, keine Willenserklärung gewesen.

22

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 07.07.2011 stattgegeben und seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

23

Es könne dahinstehen, ob die Frist zur Zustimmungsverweigerung gemäß § 38 Abs.3 S.1 MVG.EKD gewahrt sei. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, so könne sich die Schuldnerin jedenfalls nach Treu und Glauben nicht darauf berufen. Durch die Einstellung „automatisches Datieren“ in dem Anhörungsschreiben sei der Eindruck erweckt worden, die e-mail stamme vom Tag des Ausdrucks. Dann sei durch die Äußerungen der Vertreter der Schuldnerin in der Besprechung mit der Mitarbeitervertretung deren Irrtum, die Frist laufe erst am 13.10. ab, perpetuiert worden. Den Vertretern der Schuldnerin hätte bewusst sein müssen, dass die Angaben der Mitarbeitervertretung hinsichtlich des Zugangszeitpunkts der Anhörungen nicht zutreffend sein könne, denn es widerspreche der Lebenserfahrung, dass eine am 24.09 abgesandte e-mail erst am 29.09. ankomme. Aufgrund des Gebots der vertrauensvollen Zusammenarbeit wäre die Schuldnerin verpflichtet gewesen, entweder den als verspätet empfundenen Widerspruch zu akzeptieren oder aber die Mitarbeitervertretung vor dem 11.10.2010 auf den Fristablauf hinzuweisen.

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Gegen dieses Urteil, welches ihm am 14.07.2011 zugestellt worden ist, hat der Beklagte mit einem am 12.08.2011 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese am 14.09.2011 begründet.

25

Der Beklagte rügt, das Arbeitsgericht unterstelle zu Unrecht, die Schuldnerin hätte erkennen müssen, dass eine e-mail nicht fünf Tage von der Absendung bis zum Empfang brauche. Eine solche zeitliche Verzögerung sei aus technischen Gründen durchaus möglich. Die Auskunft, die Frist laufe am 13.10. ab, sei mit der Einschränkung erfolgt „wenn die e-mail am 29.09. zugegangen ist“. Die Schuldnerin bzw. ihr Rechtsanwalt hätten selbst erst ca. eine Woche nach dem Fristablauf gemerkt, dass der Widerspruch verspätet erfolgt sei. Außerdem lege das Gericht das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit sehr einseitig aus, indem es nicht berücksichtige, dass die Bitte der Schuldnerin mit e-mail vom 27.09.2010 um Bestätigung des Zugangs der Anhörungsschreiben von der Mitarbeitervertretung nicht beantwortet worden sei.

26

Nach einem gerichtlichen Hinweis hat die Beklagte ergänzend die Auffassung vertreten, die Zustimmungsverweigerung sei unwirksam, da sie keine Begründung enthalte, die den Anforderungen des MVG.EKD genüge.

27

Der Beklagte beantragt,

28

das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 07.07.2011 abzuändern und die Klage abzuweisen.

29

Nach einer mit Zustimmung des Beklagten erfolgten Rücknahme des erstinstanzlichen Hilfsantrags beantragt die Klägerin,

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die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

31

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie ist der Ansicht, die Zustimmungsverweigerung sei wirksam erklärt worden. Der darin enthaltene Hinweis auf die fehlende Abfindung genüge, weil die Kündigungen ausgesprochen worden seien, ohne dass ein Sozialplan verhandelt oder eine Abfindung nach § 8 Rationalisierungssicherungsordnung (RSO) angeboten worden sei. Das Kuratorium der Stiftung arbeite zudem als Fond zur Unterstützung sozialer Projekte weiter.

32

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Sitzungsprotokolle des Arbeitsgerichts vom 07.12.2010, 24.02 und 07.07.2011, der erkennenden Kammer vom 25.11. und 09.12.2011 sowie vom 03.02.2012, den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils und sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

33

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

34

A.

35

I. Es bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung. Sie ist nach Maßgabe der §§ 66 Abs.1, 64 Abs.6 ArbGG i.V.m. § 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist auch statthaft gemäß § 64 Abs.1, 2 lit. c) ArbGG.

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II. Die Berufung des Beklagten ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts ist das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 25.10.2010 zum 31.12.2010 beendet worden.

37

1. Die Kündigung ist nicht gemäß § 1 Abs.1 KSchG wegen einer fehlenden sozialen Rechtfertigung unwirksam.

38

a) § 1 KSchG findet gemäß § 23 Abs.1 KSchG keine Anwendung, da die Schuldnerin regelmäßig nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt.

39

Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob die Betriebspraktikantin bei der Zahl der Beschäftigten mit einzurechnen ist. Auch wenn dies der Fall sein sollte, ist der Schwellenwert von zehn Arbeitnehmern nicht überschritten.

40

Unstreitig waren bei Ausspruch der Kündigung unter Zugrundelegung der Werte des § 23 Abs.1 S.4 KSchG 9,25 Arbeitnehmer zuzüglich der Betriebspraktikantin beschäftigt. Diese ist als Teilzeitkraft mit maximal 0,75 zu berücksichtigen, so dass sich eine Beschäftigungszahl von maximal 10,0 ergibt. Zur Arbeitszeit der Betriebspraktikantin wurde seitens des Beklagten vorgetragen, es werde nicht der Wert überschritten, der zu einer Berechnung mit 1,0 führen werde, was wiederum das Vorbringen beinhaltet, sie sei nicht mehr als 30 Stunden wöchentlich tätig. Diese Behauptung gilt gemäß § 138 Abs.3 ZPO als zugestanden, da die Klägerin hierzu nicht Stellung genommen hat. Nur im Falle eines Bestreitens der Klägerin hätte der Beklagte zum konkreten Umfang der Arbeitszeitdauer im Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast (vgl. hierzu BAG v. 26.06.2008 – 2 AZR 264/07 – AP Nr.42 zu § 23 KSchG 1969) näher vortragen müssen.

41

Bei den maximal 10 Mitarbeiter/innen, die zum Kündigungszeitpunkt tätig waren, handelt es sich um die regelmäßige Beschäftigtenzahl im Sinne des § 23 Abs.1 S.3 KSchG. Zwar darf nicht etwa nur auf die zufällige tatsächliche Beschäftigtenzahl zum Zeitpunkt der Kündigung abgestellt werden, sondern es bedarf – bezogen auf den Kündigungszeitpunkt – grundsätzlich eines Rückblicks auf die bisherige personelle Situation und einer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung (BAG v. 24.02.2005 – 2 AZR 373/03 – AP Nr. 34 zu § 23 KSchG 1969; BAG v. 22.01.2004 – 2 AZR 237/03 – AP Nr. 31 zu § 23 KSchG 1969). Im Falle einer Betriebsstilllegung oder Betriebseinschränkung kommt mit Blick auf den gesetzlichen Schutzzweck nur ein Rückblick auf die bisherige Belegschaftsstärke in Frage (BAG v. 22.01.2004 a.a.O.). Da jedoch keine der Parteien vorgetragen hat, dass eine höhere Belegschaftsstärke für den Betrieb der Schuldnerin typisch gewesen und die Zahl der Arbeitnehmer/innen lediglich zufällig zum Kündigungszeitpunkt auf unter 10,25 herabgesunken war, ist auf die zum Zeitpunkt der Kündigung vorhandene Beschäftigtenzahl zurückzugreifen.

42

b) Selbst wenn aber § 1 KSchG Anwendung fände, so wäre die Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen sozial gerechtfertigt.

43

Unstreitig hat die Schuldnerin vor Ausspruch der Kündigung den Beschluss gefasst, die beiden Betreuungsgruppen zum 31.12.2010 zu schließen. Damit ist mit Ablauf der Kündigungsfrist der Arbeitsplatz der Klägerin entfallen. Der Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, eine andere Beschäftigungsmöglichkeit bestehe nicht. Die Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl hat die Klägerin zwar mit der Klageschrift pauschal gerügt. Eine soziale Auswahl erübrigte sich aber, da keine vergleichbaren Arbeitnehmer fortbeschäftigt werden. Die Schuldnerin hat nämlich sämtlichen pädagogischen Mitarbeiter/innen mit der individuellen Kündigungsfrist gekündigt.

44

2. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts ist die Kündigung nicht gemäß § 38 Abs.1 S.2 MVG.EKD unwirksam, da die Zustimmung der Mitarbeitervertretung gemäß § 38 Abs.3 S.1 MVG.EKD als erteilt gilt.

45

a) Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Arbeitsgerichts, dass die Wirksamkeit der Kündigung auch unter dem Aspekt einer nicht ordnungsgemäßen Beteiligung der Mitarbeitervertretung zu überprüfen ist, sofern – wie hier – eine entsprechende Rüge des klagenden Arbeitnehmers erfolgt ist. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der Instanzgerichte (vgl. etwa BAG v. 09.09.2010 – 2 AZR 582/09 – EzA § 611 BGB 2002 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 16; BAG v. 10.12.1992 – 2 AZR 271/92 – AP Nr. 41 zu Art. 140 GG; BAG v. 04.07.1991 – 2 AZR 16/91 – n.v.; LAG Hamm v. 18.01.2007 – 16 Sa 559/06 – n.v.; LAG Köln v. 18.01.1995 – 8 Sa 1167/94 – AP Nr.1 zu § 42d MitarbeitervertretungsgesetzG-EK Rheinland).

46

b) Gemäß §§ 42 lit. b), 41 Abs.3, 38 Abs.1 S.2 MVG.EKD ist eine ordentliche Kündigung nach Ablauf der Probezeit unwirksam, wenn die Mitarbeitervertretung nicht beteiligt worden ist. Eine ordnungsgemäße Beteiligung ist hier aber erfolgt.

47

aa) Die Schuldnerin hat die Mitarbeitervertretung gemäß § 38 Abs.2 S.1 MVG.EKD von der beabsichtigten Kündigung unterrichtet und die Zustimmung beantragt.

48

(1) Insoweit ist nicht zu beanstanden, dass dies per e-mail geschehen ist. § 38 Abs.2 S.1 MVG enthält für die Einleitung des Mitbestimmungsverfahrens keine Formvorschrift (KGH.EKD v. 07.04.2008 – I-0124/N80-07 – zitiert nach juris, Rn. 14; Fey/Rehren, MVG.EKD Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland, Loseblatt, Stand: Juli 2011, § 38 Rn.9).

49

(2) Die Unterrichtung der Mitarbeitervertretung seitens der Schuldnerin ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden. An den Inhalt der Unterrichtung sind dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Betriebsratsanhörung gemäß § 102 Abs.1 BetrVG (vgl. hierzu LAG Köln v. 18.01.1995 – 8 Sa 1167/94 – AP Nr.1 zu § 42d MitarbeitervertretungsgesetzG-EK Rheinland).

50

Danach gelten folgende Grundsätze: Die Beteiligung der Mitarbeitervertretung hat über die reine Unterrichtung hinaus den Sinn, dieser Gelegenheit zu geben, ihre Überlegungen zu der Kündigungsabsicht vorzubringen. Der Arbeitgeber soll in die Lage versetzt werden, bei seiner Entscheidung die Stellungnahme der Mitarbeitervertretung, insbesondere ihre Bedenken zu berücksichtigen. Die Mitarbeitervertretung kann ihre Rechte aber nur dann sachgemäß ausüben, wenn der Arbeitgeber die maßgebenden Tatsachen, die zu seinem Kündigungsentschluss geführt haben, so mitteilt, dass sich die Mitarbeitervertretung ohne zusätzliche eigene Nachforschungen ein eigenes Bild über die Begründetheit der Kündigung machen kann. An die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers sind allerdings nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Darlegungslast des Arbeitgebers im Prozess. Zudem gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“, d. h. eine Unterrichtung ist immer dann ordnungsgemäß, wenn der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat. Andererseits genügt es nicht, wenn der Arbeitgeber diese nur pauschal, schlagwort- oder stichwortartig vorträgt (vgl. zur Betriebsratsanhörung: BAG v. 06.10.2005 – 2 AZR 316/04 – AP Nr. 150 zu § 102 BetrVG 1972; BAG v. 17.02.2000 – 2 AZR 913/98 – AP Nr. 113 zu § 102 BetrVG 1972; BAG v. 15.11.1995 – 2 AZR 974/94 – AP Nr. 73 zu § 102 BetrVG 1972; BAG v. 29.03.1984 – 2 AZR 429/83 – AP Nr. 31 zu § 102 BetrVG 1972).

51

Das Anhörungsschreiben von September 2010 genügt diesen Anforderungen. Der Kündigungsgrund wird einschließlich des Fehlens anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten dargelegt. Darüber hinaus enthält das Schreiben alle erforderlichen persönlichen Daten der Klägerin und Angaben zur Kündigungsfrist. Aus dem Schreiben ließ sich für die Mitarbeitervertretung zugleich ersehen, dass die Kündigung – wenn möglich – zum 31.12.2010 erfolgen sollte.

52

bb) Die Zustimmung der Mitarbeitervertretung gilt gemäß § 38 Abs. 3 S.1 MVG.EKD als erteilt.

53

Diese Fiktion greift ein, wenn die Mitarbeitervertretung nicht innerhalb von zwei Wochen entweder die Zustimmung schriftlich verweigert oder aber eine mündliche Erörterung beantragt. Beides ist hier nicht erfolgt.

54

(1) Zu Unrecht hat das Arbeitsgericht angenommen, es liege eine ordnungsgemäße Zustimmungsverweigerung vor. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob das Telefaxschreiben der Mitarbeitervertretung vom 12.10.2010 die 2-Wochen-Frist des § 38 Abs.3 S.1 MVG.EKD gewahrt hat bzw. ob die Beklagte gemäß § 242 BGB nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gehindert ist, sich auf einen etwaigen Fristablauf zu berufen. Unabhängig hiervon ist die Zustimmungsverweigerung nicht ordnungsgemäß erfolgt, da es an der erforderlichen Begründung fehlt.

55

(a) Gemäß § 38 Abs.3 S.5 MVG.EKD hat die Mitarbeitervertretung die Zustimmungsverweigerung schriftlich zu begründen. Da die Zustimmung zur Kündigung gemäß § 41 Abs.2 MVG.EKD nur verweigert werden darf, wenn die Kündigung gegen eine Rechtsvorschrift, eine arbeitsrechtliche Regelung, eine andere bindende Bestimmung oder eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung verstößt, muss die Begründung sich hierauf beziehen (vgl. KGH.EKD v. 07.04.2008 – I-0124/N80-07 – zitiert nach juris; Fey/Rehren, § 41 MVG.EKD Rn.28; Richter, Die Kündigung im Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche, 2. Auflage 2009, S.148). Zwar sind an den Umfang der Begründung keine überspannten Anforderungen zu stellen (Baumann-Czichon/ Germer, MVG-EKD, Der neue Kommentar für die Praxis, 1997, § 38 Rn.19). Die Begründung muss aber so gefasst sein, dass der Arbeitgeber erkennen kann, worauf es der Mitarbeitervertretung ankommt (KGH.EKD v. 07.04.2008 – I-0124/N80-07 – zitiert nach juris, Rn.12; Baumann-Czichon/Germer, § 38 MVG.EKD Rn.19). Ein bloßes Stichwort oder eine formelhafte Wiedergabe der in § 41 Abs.2 MVG.EKD genannten Verweigerungsgründe reichen nicht aus. Vielmehr muss stets erkennbar sein, auf welche konkreten Umstände und Tatsachen die Mitarbeitervertretung einen bestimmten Ablehnungsgrund stützt (vgl. KGH.EKD v. 07.04.2008 – I-0124/N80-07 – zitiert nach juris; Andelewski in Berliner Kommentar zum Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland, 2007, § 38 Rn.53; Fey/Rehren, § 41 MVG.EKD Rn. 3, 28; Richter, S.145). Die Begründung muss es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass ein Mitbestimmungstatbestand gegeben ist. Eine Begründung, die offensichtlich außerhalb irgendeines Mitbestimmungstatbestandes liegt, ist unbeachtlich (vgl. für das Bundespersonalvertretungsgesetz: BVerwG v. 07.12.1994 – 6 P 35/92 – AP Nr. 13 zu § 2 BAT SR 2y; BVerwG v. 18.04.1986 – 6 P 31/84 – NVwZ 1987, 139).

56

Eine nicht ausreichende Begründung ist einer Nichtbegründung gleichzusetzen. Die Zustimmung gilt dann als erteilt (KGH.EKD v. 07.04.2008 – I-0124/N80-07 – zitiert nach juris, Rn.12; Berliner Kommentar – Andelewski, § 38 Rn. 53; für das BPersVG: BVerwG v. 07.12.1994 und v. 18.04.1986 a.a.O.).

57

(b) Gemessen hieran ist von einer Zustimmungserteilung auszugehen, da das Schreiben der Mitarbeitervertretung vom 12.10.2010 keine ordnungsgemäße Begründung enthält.

58

Bezüglich der Klägerin wird die Zustimmungsverweigerung ausdrücklich nur darauf gestützt, dass die Schuldnerin nicht bereit war, eine Abfindung zu zahlen. So heißt es in dem Schreiben wörtlich: „Aus diesem Grund lehnt die MAV ihre Kündigungsbegehren zu … H. (wegen fehlender Abfindungsbereitschaft) ab.“ Zuvor wurde zwar beanstandet, es sei nicht erkennbar, ob die Kündigungsfristen eingehalten würden, da diese über den Zeitpunkt der beabsichtigten Schließung des pädagogischen und verwaltungstechnischen Bereichs hinausragten. Hiervon wurde aber die Klägerin ausdrücklich ausgenommen, wie nicht nur dem obigen Klammerzusatz, sondern schon einer vorhergehenden Formulierung „mit Ausnahme von Frau H.“ zu entnehmen ist. Außerdem hat die Mitarbeitervertretung moniert, es gäbe kein Angebot bezüglich Abfindungen und/oder Entschädigungen. Es fehle ein „Hinweis auf die nach § 8 RSO zu zahlenden Abfindungen“.

59

Diese Begründung lässt auf den ersten Blick erkennen, dass sich die Mitarbeitervertretung nicht auf einen Zustimmungsverweigerungsgrund im Sinne des § 41 Abs.2 MVG.EKD beruft.

60

Eine Rechtsvorschrift, welche die Wirksamkeit der Kündigung an die Zahlung einer Abfindung knüpft, gibt es nicht. Weder der kraft arbeitsvertraglicher Verweisung anwendbare § 33 Abs.2 BAT-KF noch die einzige von der Mitarbeitervertretung in der Zustimmungsverweigerung genannte Vorschrift – § 8 RSO – verknüpfen die Wirksamkeit der Kündigung mit einer Abfindungszahlung.

61

§ 33 Abs.2 BAT-KF enthält folgende Regelung:

62

„Eine betriebsbedingte Kündigung setzt voraus, dass die Vorschriften der Rationalisierungssicherungsordnung (RSO) ungeachtet der §§ 1 und 2 angewendet worden sind. Mitarbeitende, die danach auf Veranlassung des Arbeitgebers im gegenseitigen Einvernehmen oder auf Grund einer Kündigung durch den Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, erhalten eine Abfindung nach § 8 RSO. …“

63

§ 8 RSO lautet auszugsweise wie folgt:

64

㤠8

65

Abfindung

66

(1)Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die auf Veranlassung des Arbeitgebers im gegenseitigen Einvernehmen oder aufgrund einer Kündigung durch den Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, erhalten nach Maßgabe folgender Tabelle eine Abfindung: …

67

(2)Der Anspruch auf Abfindung entsteht am Tag nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Hat der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gekündigt, wird die Abfindung erst fällig, wenn die Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage abgelaufen ist oder, falls der Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin Kündigungsschutzklage erhoben hat, endgültig feststeht, dass er bzw. sie ausgeschieden ist.

68

(3)…“

69

Hiernach entsteht die Abfindung – sofern die Voraussetzungen erfüllt sind – unabhängig von einer Zusage des Arbeitgebers. Auf die Wirksamkeit der Kündigung hat die Abfindungszahlung keinen Einfluss. Umgekehrt: Die Fälligkeit der Abfindung setzt voraus, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtskräftig feststeht.

70

Auch die Mitarbeitervertretung hat in ihrer Zustimmungsverweigerung nicht etwa die Auffassung vertreten, die Kündigung sei wegen der fehlenden Abfindungsbereitschaft unwirksam und verstoße dementsprechend gegen eine Vorschrift im Sinne des § 41 Abs.2 MVG.EKD. Sie bringt in dem Schreiben vom 12.10.2010 lediglich zum Ausdruck, dass sie davon ausgehe, es gebe einen Abfindungsanspruch. Damit gibt die Mitarbeitervertretung zu erkennen, dass sie ihre Zustimmung ohne einen vom Gesetz gebilligten sachlichen Grund verweigert. Ein derartiges Verhalten wird vom Recht nicht geschützt; es ist vielmehr missbräuchlich und löst deswegen keine Rechtsfolgen aus (vgl. BVerwG v. 18.04.1984 – 6 P 31/84 – NVwZ 1987, 82).

71

(2) Die Mitarbeitervertretung hat auch keine Erörterung gemäß § 38 Abs.2 S.2 MVG.EKD verlangt, mit der Folge, dass dann gemäß § 38 Abs.3 S.1 Alt.2 MVG.EKD die Fiktion nicht greifen würde.

72

Zwar hat die Mitarbeitervertretung am Ende ihres Schreibens vom 12.10.2010 angeboten, für weitere Gespräche zur Verfügung zu verstehen. Hierbei handelte es sich aber nicht um ein Erörterungsverlangen im Sinne der vorgenannten Normen. Dem steht bereits entgegen, dass das Gesprächsangebot nicht unbedingt erfolgt ist, sondern unter bestimmten Voraussetzungen, wie der Bereitschaft des Arbeitgebers zu ernsthaften Verhandlungen über einen Sozialplan bzw. Abfindungen. Zudem schließen sich die gleichzeitige Erklärung einer Zustimmungsverweigerung und eines Erörterungsverlangens aus, wie der Verwendung des Wortes „oder“ in § 38 Abs.3 S.1 MVG.EKD zu entnehmen ist. Eine Erörterung macht auch keinen Sinn, wenn die Zustimmung ohnehin bereits verweigert worden ist.

73

cc) Damit war die Schuldnerin berechtigt, die Kündigung auszusprechen, ohne dass vorher gemäß §§ 38 Abs.1 S.1, 60 Abs.5 MVG.EKD das zuständige Kirchengericht angerufen werden musste.

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Soweit ersichtlich, hat sich die Rechtsprechung bislang noch nicht damit befasst, ob eine kirchengerichtliche Entscheidung auch dann erforderlich ist, wenn eine Zustimmungsverweigerung ohne eine ausreichende Begründung erfolgt ist. Die Kirchengerichte erklären sich allerdings nicht für unzuständig, falls ein Arbeitgeber eine Zustimmungsersetzung beantragt, obwohl mangels Einhaltung des Begründungserfordernisses des § 38 Abs.3 S.1 MVG.EKD die Zustimmung bereits als erteilt gilt (vgl. KGH.EKD v. 07.04.2008 – I-0124/N80-07 – zitiert nach juris sowie KGH.EKD v. 03.04.2006 – I-0124/M1-06 – ZMV 2006, 245).

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Die Ansichten im Schrifttum sind geteilt. Zum Teil wird angenommen, im Falle einer Zustimmungsverweigerung sei stets die Anrufung des Kirchengerichts erforderlich. Dies ergebe sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 38 Abs.1 MVG.EKD (Fey/Rehren, MVG.EKD Praxiskommentar, Loseblatt (Stand: Juli 2011), § 41 Rn.3). Nach der Gegenansicht soll in absoluten Ausnahmefällen, wenn eine Begründung einer Nichtbegründung gleichzusetzen ist, der Arbeitgeber die Maßnahme durchführen können, ohne das Kirchengericht anzurufen (so Berliner Kommentar-Andelewski, § 38 MVG.EKD Rn. 53).

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Die Kammer schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Bereits der Wortlaut des § 38 Abs.1 S.1 MVG.EKD spricht dafür, dass eine Anrufung des Kirchengerichts nur zum Zwecke der Zustimmungsersetzung, nicht in sonstigen Fällen erforderlich ist. So heißt es in § 38 Abs.1 S.1 MVG.EKD: „Soweit eine Maßnahme der Mitbestimmung der Mitarbeitervertretung unterliegt, darf sie erst vollzogen werden, wenn die Zustimmung der Mitarbeitervertretung vorliegt oder kirchengerichtlich ersetzt worden ist“ (Hervorhebung durch Unterzeichner). Im Falle der Zustimmung ist das Kirchengericht also nicht anzurufen. Eine Zustimmung liegt aber nicht nur dann vor, wenn eine solche von der Mitarbeitervertretung ausdrücklich erklärt worden ist, sondern auch, wenn die Fiktion des § 38 Abs.3 S.1 MVG eingreift. Bezüglich der Fiktion wird wiederum nicht danach differenziert, ob diese aufgrund einer gänzlich fehlenden Stellungnahme, wegen einer Fristüberschreitung oder aber der Nichtbeachtung der erforderlichen Form – schriftlich mit Begründung – erfolgt.

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Auch der Wortlaut des § 60 Abs.5 S.1 MVG.EKD spricht gegen das Erfordernis der Anrufung des Kirchengerichts in den Fällen, in denen es offensichtlich an einer ordnungsgemäßen Begründung der Zustimmungsverweigerung fehlt. Danach sind die Kirchengerichte nämlich für die Ersetzung der Zustimmung, nicht aber für die Feststellung zuständig, dass die Zustimmung bereits vorliegt. Diese kann vielmehr inzident im Rahmen einer gegen die Wirksamkeit der Kündigung gerichteten Klage von den Arbeitsgerichten geprüft werden.

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Der Sinn und Zweck der §§ 38, 41, 42 MVG.EKD spricht ebenfalls für die Auffassung der Kammer. Hätte eine offensichtlich nicht ordnungsgemäße Zustimmungsverweigerung zur Folge, dass eine Kündigung nicht ohne eine vorherige Entscheidung des Kirchengerichts erklärt werden könnte, so könnte die Mitarbeitervertretung ihr (eingeschränktes) Mitbestimmungsrecht – wie hier – dazu missbrauchen, Forderungen durchzusetzen, ohne dass ein Zustimmungsverweigerungsgrund ernsthaft in Betracht kommt. Faktisch hätte die eingeschränkte Mitbestimmung gemäß §§ 41, 42 MVG.EKD dieselben Wirkungen wie die Mitbestimmung gemäß §§ 38 – 40 MVG.EKD. Ein solches Ergebnis widerspricht dem im MVG.EKD zum Ausdruck gekommenen Willen der Kirche.

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Es entsteht auch nicht die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen der Kirchen- und der Arbeitsgerichte. Kündigt der Arbeitgeber, weil er meint, es liege keine wirksame Zustimmungsverweigerung der Mitarbeitervertretung vor, so ist dies arbeitsgerichtlich überprüfbar. Ruft er hingegen vor Ausspruch einer Kündigung (gegebenenfalls vorsorglich) das Kirchengericht an, um die Zustimmung ersetzen zu lassen, so hat dieses inzident zu prüfen, ob eine solche Zustimmung bereits als erteilt gilt (vgl. KGH.EKD v. 07.04.2008 – I-0124/N80-07 – zitiert nach juris).

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B.

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I. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

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II. Die Zulassung der Revision erfolgt gemäß § 72 Abs.2 Nr.1 ArbGG. Die Frage, ob eine Kündigung im Falle einer nicht ausreichend begründeten Zustimmungsverweigerung der Mitarbeitervertretung ohne vorherige Anrufung des Kirchengerichts ausgesprochen werden kann, ist von grundsätzlicher Bedeutung.

Barth Mülleneisen Thielen

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Vorinstanz:

Arbeitsgericht Oberhausen, 4 Ca 1877/10

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